Ganz persönlich mag der Rückblick sehr verschieden ausfallen:
Vieles, wofür ich dankbar bin. Erfolge, aber auch Misslungenes,
schwere Stunden, aber auch gute gemeinsame Zeit. Die politischen
Jahresrückblicke erinnern uns an fast schon wieder vergessenen
Katastrophen wie das Erdbeben in Syrien und der Türkei, an
vielfache Unwetter, an Terror und Kriege. Die Bilder aus Palästina
sind uns allen wohl ganz nahe. Doch ein Konflikt verdrängt den
anderen: die Ukraine, Opfer des russischen Terrors, die Frauen in
Afghanistan und im Irak, Opfer des Terrors von Taliban und Mullahs
rücken in den Hintergrund.
Dazu der Streit darum, wie man mit den Flüchtlingen gerecht umgehen
soll. Seit einiger Zeit ist von Migration nur noch mit den
Beiwörtern "illegal" oder "irregulär" die Rede. Abschiebung und
Abschottung stehen im Vordergrund, Menschlichkeit bleibt auf der
Strecke. Entwicklungshilfegelder, die Fluchtursachen bekämpfen
könnten, werden gekürzt. Klimaziele bleiben unerreicht,
Klimapolitik kommt nicht voran. Streit ums Heizungsgesetz, Streit
um Sparmaßnahmen etwa in der Landwirtschaft. Wut steigt auf, gar
Hass. Die Stimmung brodelt immer mehr. Ist die Regierung unfähig?
Aber wo wären die Alternativen? Die, die sich so nennen, sind das
absolut nicht. Im Gegenteil!
Wir leben auch dieses Jahr im "Krisenmodus" - das ist das Wort des
Jahres. Ja, wir müssen es lernen und aushalten, mit den Krisen
umzugehen, ohne daran kaputt zu gehen.
Das Wort Krise meint übrigens nicht Katastrophe, sondern
bedenkliche Lage, Zuspitzung, Wendepunkt. Es kommt von einem
griechischen Wort, das mit "entscheiden" übersetzt werden kann.
Also: eine Situation spitzt sich zu und fordert eine Entscheidung
heraus, damit es zu einem Wendepunkt kommt. In den Krisen könnten
auch Chancen stecken, dass endlich die richtigen Entscheidungen
getroffen werden.
Letzte Woche wurde auch das von UNICEF gekürte Foto des Jahres
bekannt: Der Fotograf Patryk Jaracz schoss es für dpa in der
Ukraine: Unter den dunklen Wolken des Krieges übt auf einer
Blumenwiese die fünfjährige Alina, begleitet von Freundinnen, das
Fahrradfahren. Das Leben geht weiter - trotz Krieg und Krisen. Das
Leben ist stärker.
Die biblische Jahreslosung des zurückliegenden Jahres war: "Du bist
ein Gott, der mich sieht". So mancher fragt sich, ob Gott wirklich
sieht, was hier alles Schlimmes passiert. Der Allmächtige müsse
doch eingreifen. Aber wie sollte das denn geschehen? Es kommt keine
Hand vom Himmel und schlägt den Kämpfern die Waffen aus der Hand
oder stößt die verbrecherischen Regimes vom Thron.
Das funktioniert ebenso wenig, wie jetzt - die säkulare Variante -
nach einem starken Mann zu rufen, der mal ordentlich aufräumt.
Diesen gefährlichen Wunsch höre ich erschreckend oft.
Wir kommen von Weihnachten her. Deshalb können wir sagen: Gott hat
längst eingegriffen - aber ganz anders. Nicht als starker Mann,
sondern als kleines Kind in der Krippe, das alle unsere Liebe
weckt, das uns lehrt, dass das Leben nur in Beziehung und im
Miteinander gelingt. Dann, wenn alles in Liebe geschieht (so die
neue Jahreslosung 2024).
Und was wird nun aus den Krisen? Vielleicht spitzen sie sich ja
wirklich derart zu, dass die Menschen endlich zur Vernunft kommen
und ganz neue Wege finden. Ansätze dazu gibt es genug.
Ich stimme da ein in das Glaubensbekenntnis von Dietrich
Bonhoeffer: "Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem
Bösesten,
Gutes entstehen lassen kann und will."
Das aber will und kann er nicht allein als Allmächtiger, sondern
nur gemeinsam mit uns, wenn wir uns von seiner Kraft erfüllen und
leiten lassen.
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Was für ein Jahr liegt hinter uns?
Pastor Dirk Gniesmer, Johannis-Kirchengemeinde Rinteln und Kapellengemeinde Todenmann
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