1. Was für ein Jahr liegt hinter uns?

    Pastor Dirk Gniesmer, Johannis-Kirchengemeinde Rinteln und Kapellengemeinde Todenmann

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    Ganz persönlich mag der Rückblick sehr verschieden ausfallen: Vieles, wofür ich dankbar bin. Erfolge, aber auch Misslungenes, schwere Stunden, aber auch gute gemeinsame Zeit. Die politischen Jahresrückblicke erinnern uns an fast schon wieder vergessenen Katastrophen wie das Erdbeben in Syrien und der Türkei, an vielfache Unwetter, an Terror und Kriege. Die Bilder aus Palästina sind uns allen wohl ganz nahe. Doch ein Konflikt verdrängt den anderen: die Ukraine, Opfer des russischen Terrors, die Frauen in Afghanistan und im Irak, Opfer des Terrors von Taliban und Mullahs rücken in den Hintergrund.
    Dazu der Streit darum, wie man mit den Flüchtlingen gerecht umgehen soll. Seit einiger Zeit ist von Migration nur noch mit den Beiwörtern "illegal" oder "irregulär" die Rede. Abschiebung und Abschottung stehen im Vordergrund, Menschlichkeit bleibt auf der Strecke. Entwicklungshilfegelder, die Fluchtursachen bekämpfen könnten, werden gekürzt. Klimaziele bleiben unerreicht, Klimapolitik kommt nicht voran. Streit ums Heizungsgesetz, Streit um Sparmaßnahmen etwa in der Landwirtschaft. Wut steigt auf, gar Hass. Die Stimmung brodelt immer mehr. Ist die Regierung unfähig? Aber wo wären die Alternativen? Die, die sich so nennen, sind das absolut nicht. Im Gegenteil!
    Wir leben auch dieses Jahr im "Krisenmodus" - das ist das Wort des Jahres. Ja, wir müssen es lernen und aushalten, mit den Krisen umzugehen, ohne daran kaputt zu gehen.
    Das Wort Krise meint übrigens nicht Katastrophe, sondern bedenkliche Lage, Zuspitzung, Wendepunkt. Es kommt von einem griechischen Wort, das mit "entscheiden" übersetzt werden kann. Also: eine Situation spitzt sich zu und fordert eine Entscheidung heraus, damit es zu einem Wendepunkt kommt. In den Krisen könnten auch Chancen stecken, dass endlich die richtigen Entscheidungen getroffen werden.
    Letzte Woche wurde auch das von UNICEF gekürte Foto des Jahres bekannt: Der Fotograf Patryk Jaracz schoss es für dpa in der Ukraine: Unter den dunklen Wolken des Krieges übt auf einer Blumenwiese die fünfjährige Alina, begleitet von Freundinnen, das Fahrradfahren. Das Leben geht weiter - trotz Krieg und Krisen. Das Leben ist stärker.
    Die biblische Jahreslosung des zurückliegenden Jahres war: "Du bist ein Gott, der mich sieht". So mancher fragt sich, ob Gott wirklich sieht, was hier alles Schlimmes passiert. Der Allmächtige müsse doch eingreifen. Aber wie sollte das denn geschehen? Es kommt keine Hand vom Himmel und schlägt den Kämpfern die Waffen aus der Hand oder stößt die verbrecherischen Regimes vom Thron.
    Das funktioniert ebenso wenig, wie jetzt - die säkulare Variante - nach einem starken Mann zu rufen, der mal ordentlich aufräumt. Diesen gefährlichen Wunsch höre ich erschreckend oft.
    Wir kommen von Weihnachten her. Deshalb können wir sagen: Gott hat längst eingegriffen - aber ganz anders. Nicht als starker Mann, sondern als kleines Kind in der Krippe, das alle unsere Liebe weckt, das uns lehrt, dass das Leben nur in Beziehung und im Miteinander gelingt. Dann, wenn alles in Liebe geschieht (so die neue Jahreslosung 2024).
    Und was wird nun aus den Krisen? Vielleicht spitzen sie sich ja wirklich derart zu, dass die Menschen endlich zur Vernunft kommen und ganz neue Wege finden. Ansätze dazu gibt es genug.
    Ich stimme da ein in das Glaubensbekenntnis von Dietrich Bonhoeffer: "Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten,
    Gutes entstehen lassen kann und will."
    Das aber will und kann er nicht allein als Allmächtiger, sondern nur gemeinsam mit uns, wenn wir uns von seiner Kraft erfüllen und leiten lassen.

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