Hunderte Altenheime stehen vor dem Aus. Über Deutschland rollte
eine Insolvenzwelle (Quelle: ZDF vom 4.8.2023). Große Unternehmen
wie "Curata Care", Conivo-Unternehmensgruppe, die "Dorea-Familie"
sind betroffen, alles Beispiele für finanzielle Schieflagen in der
Pflege. Eine Abfrage des Bundesverbands privater Anbieter unter
knapp 2.500 Pflegeheimen und ambulanten Diensten ergab, dass fast
70 Prozent ihre wirtschaftliche Existenz als bedroht ansehen. Der
Bundesverband Ambulante Dienste und Stationäre Einrichtungen
erfasste ein insgesamt schlechtes Stimmungsbild bei den
angeschriebenen Diensten und Heimen. Bei 66 Prozent überstiegen die
monatlichen Betriebsausgaben die monatlichen Einnahmen, bei 76
Prozent wurden die Zukunftsaussichten für den Betrieb als eher
negativ bewertet und etwa die Hälfte der Einrichtungen kann nicht
die zur Verfügung stehenden Heimplätze belegen, weil schlichtweg
Personal fehlt. Alarmierende Zahlen angesichts einer alternden
Gesellschaft und steigender Nachfrage nach Heim- und
Betreuungsplätzen.
Fragen über Fragen
Das SW fragte deshalb nach bei Schaumburger
Altenpflegeeinrichtungen aus Rinteln, Bückeburg, Obernkirchen,
Stadthagen, Bad Eilsen und Bad Nenndorf, wie die aktuelle Situation
in dem jeweilig angeschriebenen Altenheim ist, ob kostendeckend
gearbeitet werden kann, ob das Heim zu einer Kette von
Pflegeeinrichtungen gehört oder eigenständig ist, wie viele
Bewohner versorgt werden und wie viele Plätze aufgrund von
Personalmangel nicht belegt werden können. Wie viele Mitarbeiter
hat das Unternehmen, muss auf teure Zeitarbeiter zurückgegriffen
werden, was belastet die Arbeit in der Einrichtung besonders, wie
viele Überstunden schieben die Mitarbeitenden vor sich her, wie
sieht es mit dem Nachwuchs in der Pflege in der Einrichtung aus und
was liegt den Angeschriebenen besonders am Herzen, um die Situation
zu verbessern?
Die Antworten kommen nur spärlich
Auf die Fragen des SW reagieren allerdings nur wenige Betriebe.
Entweder ist man so überlastet, dass es einfach nicht mehr zu
leisten ist, auch noch Presseanfragen zu beantworten, oder die
Situation ist so prekär, dass man das nicht unbedingt noch in der
Zeitung veröffentlichen möchte. Die letzte These wird von einem
Insider gegenüber dem SW favorisiert: "Niemand möchte die Not in
der Pflege in der Zeitung lesen; zumal besonders nicht, wenn es um
die eigene Einrichtung geht!" Doch es gibt auch Reaktionen auf die
Anfrage. Aus der Seniorenresidenz "Am Kirschgarten" in Bückeburg
heißt es: "Wir sind Teil der MediCare-Gruppe. Diese steht für ein
Höchstmaß an Pflegequalität. In all unseren Häusern legen wir
großen Wert auf Qualität und eine professionelle Pflege. Dazu
gehört auch, dass wir ausreichend Personal vorhalten, um alle
Bewohnerinnen und Bewohner adäquat versorgen zu können. Das gilt
für uns grundsätzlich und ist auch in unserem Haus "Am
Kirschgarten" der Fall. Fakt ist aber auch: Der Pflegesektor ist
seit Jahren deutlich unterfinanziert. Eine gesamte Branche steht
vor riesigen Herausforderungen, mit denen sie in weiten Teilen
alleine gelassen wird. Die Gesamtsituation ist demnach durchaus
herausfordernd zu nennen. Denn die Pflegesätze steigen immer noch
nicht im gleichen Maße wie die Kosten. Auf der anderen Seite wird
der Fachkräftemangel gleichzeitig dazu führen, dass das
Bettenangebot in Deutschland insgesamt kleiner wird. Damit unsere
Häuser auch weiter gut aufgestellt sind und wir ausreichend gut
qualifiziertes Personal haben, investieren wir intensiv in Aus- und
Weiterbildung. So sorgen wir dafür, dass unsere Häuser in der
Region zukunftsfähig sind und bleiben."
Noch ist Belegung zu 90 Prozent sicher
Von Wahid Wahab, Geschäftsführer der Reichsbund Freier Schwestern
gGmbH, die in Rinteln das Alten- und Pflegeheim in der
Landgrafenstraße betreiben, kommt erst einmal Freude auf, dass sich
ein regionales Medium überhaupt mit dem Thema befasst: "Wir sind
eine gemeinnützige Organisation mit einer Stiftung als
Muttergesellschaft, namentlich Stiftung Reichsbund freier
Schwestern, und versuchen kostendeckend zu arbeiten und sind nicht
Profitorientiert. Die Stiftung unterhält mehrere
Pflegeeinrichtungen in verschiedenen Bundesländern, nämlich NRW,
Niedersachsen und Rheinland-Pfalz. Wir können insgesamt mit unserer
Einrichtung in Rinteln 89 Personen versorgen. Die personelle
Situation, wie vermutlich in vielen Bereichen Bundesweit, lässt
oftmals keine Gesamtbelegung zu. Allerdings hatten wir über das
gesamte Jahr betrachtet, in den letzten 7 Monaten eine
durchschnittliche Belegung von über 90 Prozent. Unsere Einrichtung
hat durch die Pflege unserer etwa 80 engagierten und zum Teil
langjährigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen guten Ruf.
Wirtschaftlich sind einige Punkte, wie die Teuerungsraten insgesamt
für Energiekosten, aber auch Materialien, für Lebensmittel und
Pflegematerial und Wartungen und Instandsetzungen enorm gestiegen,
so dass hier sehr genau und gezielt die Kosten zu beobachten sind,
denn aufgrund der Größenordnung sind langfristig negative Zahlen
schwer zu stemmen. Wir versuchen Fremddienstleister zu vermeiden,
da gerade in der Pflege und nach unserer Philosophie die
persönliche Bindung und Fürsorge eine große Rolle spielt."
Bürokratischen Aufwand und fehlende Pflegekräfte
Vanessa Meier von der Lebenshilfe Rinteln e.V. kennt die
Belastungen durch bürokratischen Aufwand und fehlende Pflegekräfte.
Mittlerweile, so Meier, müssten sogar Kräfte aus anderen
Einrichtungen mit Bonuszahlungen abgeworben werden. Dadurch
entstände eine Fluktuation der Mitarbeitenden, was einen deutlich
höheren Aufwand für die anderen Mitarbeitenden durch Einarbeitung
mit sich bringt. Überstunden fielen zwar an, würden jedoch zeitnah
abgebaut werden. Die Lebenshilfe ist in der komfortablen Situation,
dass durch eigene Hauswirtschaftskräfte die Mitarbeitenden in der
Pflege entlastet werden können. Wenn sie einen Wunsch aussprechen
dürfte, dann diesen: "Es wäre schön, wenn sich wieder mehr Menschen
mit dem Herz für diesen Beruf entscheiden und dann auch mit dem
Herzen dabei sind und nicht nur, weil man in der Pflege
mittlerweile gut verdient!"
Fluch oder Segen: Die generalistische Ausbildung
Für Ralf Ober, der das Seniorenheim in der Landgrafenstraße leitet,
ist die Situation in der eigenen Einrichtung noch relativ
entspannt. Die große Anzahl hochmotivierter Mitarbeitenden, die
über viele Jahre in der Einrichtung arbeiten, macht die Nöte noch
überschaubar. Doch auch hier sei es schwer, freiwerdende Plätze neu
zu besetzen: "Und das vor dem Hintergrund, dass viele Mitarbeitende
kurz vor der Rente stehen", so Ober. Ein Problem gibt es bereits
bei der Ausbildung: Seit drei Jahren gibt es eine generalistische
Ausbildung von Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege. Der
erste Jahrgang ist jetzt fertig und nach Obers Kenntnis ist ein
Großteil vor dem Abschluss abgesprungen oder hat den Abschluss
nicht geschafft. Das verschärft die Situation gewaltig. Diese
Hiobsbotschaft kann Sabine Nolte von der BBS Rinteln nicht
unterschreiben. Natürlich, so Nolte, gebe es immer wieder Abbrecher
und auch in den Prüfungen lief es im ersten Anlauf nicht für alle
rund, doch für die Nachprüfungen ist sie zuversichtlich. In den
Nachfolgejahrgängen sei man ein ganzes Stück weiter und habe
dazugelernt, dann könne man realistischer abbilden, wie das
Verhältnis von Abbrechern und Durchfallern in der generalistischen
Ausbildung sei. Das System selbst verteidigt Nolte: "Es bietet den
Schülerinnen und Schülerin ein sehr breites Betätigungsfeld am Ende
ihrer Ausbildung!" Ein Pferdefuß dieses Ausbildungssystems ist laut
Ralf Ober auch auch: "Wir sehen die Auszubildenden nicht mehr oft
und können daher Förderbedarfe in den verschiedenen Bereichen nicht
mehr erkennen!"
Neues Personalbemessungssystem ohne Anwendung
Ein weiterer Hemmschuh für die vollständige Belegung aller freien
Plätze im Heim sei das Personalbemessungssystem. Seit Juli müssen
die Heime keine 50 Prozent Fachkräfte mehr vorhalten, sondern nur
noch 40 Prozent. Der Rest ist je zur Hälfte mit Kräften aus
Pflegehelfern und angelernten Kräften zu besetzen. Der Landkreis
Schaumburg prüft allerdings weiter nach dem alten Modell mit der
50:50-Regelung und das lähme das System gewaltig, weil Fachkräfte
fehlen. Um den Nachwuchs in der Pflege kümmert sich das Heim in der
Landgrafenstraße sehr umfangreich. Fünf Auszubildende versehen hier
ihren Dienst und wenn Ralf Ober einen Wunsch für die Zukunft
aussprechen darf, dann, dass man pragmatische Ansätze für die
Bewältigung einer qualitativ hochwertigen Pflege findet: "Sonst ist
die mittelfristig nicht mehr zu gewährleisten!" Dabei stellt er
seinem eigenen Heim eine Bestnote aus: "Bei Prüfungen werden wir
immer wieder gefragt, wieso es bei uns so viel anders und besser
läuft, als in anderen Einrichtungen?" Die Antwort darauf könnte
unter anderem in einer großen Wertschätzung für und einem guten
Zusammenhalt der Belegschaft liegen.
Es fehlt an Wohnungen für Mitarbeiter
Thomas Erbslöh ist Geschäftsführer vom Josua-Stegmann-Heim in
Stadthagen und gemeinsam mit dem ev. Altenheim Bückeburg, Sonnenhof
Obernkirchen und dem Diakonischen Pflegedienst in ambulanter und
Tagespflege unter der Holding "Diakonie Schaumburger Land gGmbH"
haben sich die Häuser zusammengeschlossen, um Synergieeffekte zu
bilden. Das sind über 600 Mitarbeitende und über 1.300 zu
Pflegende. Außer dem Sonnenhof in Obernkirchen seien die Häuser gut
aufgestellt. Im Sonnenhof fehlt es an Personal. Ein hoher
Krankenstand macht seit Corona den Einrichtungen zu schaffen.
Teilweise muss auf teurere Zeitarbeiter zurückgegriffen werden.
Beim Nachwuchs differenziert Erbslöh nach Standort: "Das ist sehr
unterschiedlich!" Doch aussuchen könne man sich seine
Auszubildenden schon lange nicht mehr und ist froh, wenn
Bewerbungen eingehen. Täglich müssen Anfragen potentieller Bewohner
und zu Pflegender abgewiesen werden, da kein Personal vorhanden
ist, um mehr Plätze zu belegen. Sein Wunsch ist es daher: "Politik
soll Pflege und Gesellschaft stärker im Focus haben!" Auch Wohnraum
für Mitarbeitende - auch aus dem Auslang - ist schwer zu bekommen.
Für die Kinderbetreuung wünscht er sich kompatible Zeiten zu den
Arbeitszeiten.
Politisch Druck machen
Für den ambulanten Pflegebereich gab Astrid Teigeler-Tegtmeier vom
Pflegedienst Rinteln GmbH Auskunft über die aktuelle Situation. Sie
will den politischen Druck in Sache Pflege erhöhen, weil die
Situation brenzlig wird. "Jedem Kommunalpolitiker muss klar sein,
dass wir es uns nicht leisten können, dass Betten in Heimen
unbelegt bleiben oder ambulante Dienste schließen müssen!" Deshalb
appelliert sie an jeden, seine Kanäle zu nutzen und die Problematik
in der Pflege öffentlich zu machen. In ihrem Pflegedienst sei die
Situation allerdings noch gut: "Das liegt aber auch an den Soft
Skills wie Dienstauto für privaten Gebrauch und mehr", so
Teigeler-Tegtmeier. Zur Frage, warum sich so wenig Heimbetreiber
auf die Presseanfrage zurückmeldeten, hat sie eine klare Meinung:
"Niemand lässt sich gerne in seine Karten schauen; zumindest nicht,
wenn sie schlecht sind!"
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Wenn am Ende des Geldes noch Monat übrig ist
Pflegeeinrichtungen steht das Wasser bis zum Hals / Stimmung in der Branche ist schlecht
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