Der Lieferengpass an Medikamenten für die Apotheken ist
weiterhin sehr groß, erklärt Apotheker Matthias Götzlaff von der
Flora-Apotheke in Haste gegenüber dieser Zeitung fest. Götzlaff ist
Vorstandsmitglied im Landesapothekerverband Niedersachsen e.V. und
erläutert, dass der Mangel "alle Palletten von Wirkstoffen
betrifft" und dass er mit einer positiven Wende in der
Medikamentenversorgung nicht vor ein bis zwei Jahren rechnet. Auch
nicht mit dem neuen Gesetz, dass das Bundeskabinett beschlossen und
der Bundesrat bestätigt habe. Die Brunnen-Apotheke in Bad Nenndorf
bestätigt den weiterhin großen Mangel, der sich noch verschärft
hat. Obwohl diese Apotheke über 29.000 Medikamentenpackungen in
ihren Regalen eingelagert hat, verzeichnen die Mitarbeiterinnen
insgesamt 424 offene Meldungen für Medikamente, die dem
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
gemeldet wurden. "Im November des zurückliegenden Jahres waren es
noch 300 Medikamente", betont Irene Bittner. Die Folgen: Wichtige
Medikamente fehlen und Medikamentenfächer bleiben leer, die sonst
befüllt sind. "Täglich haben wir circa 245 Arzneimittel, die wir
regulär eigentlich am Lager hätten, die wir im Augenblick aber
anfragen müssen, ob wir diese überhaupt bekommen können", so
Bittner weiter. Ein Lieferengpass, der seit Jahren besteht "und
nicht erst seit Corona", betont Andrea Reitmann. "Wenn wir Glück
haben, bekommt man zwei oder drei Packungen der wichtigen
Medikamente geliefert. Es gibt also keine Garantie dafür, wenn wir
zehn haben möchten, dass wir sie auch erhalten." Die Großhändler
hätten sogenannte Kontingente eingeführt, damit die Verteilung über
Deutschland gerechter verläuft, erklärt sie weiter. Auch die Firmen
geben nur Medikamenten-Kontingente an den Großhandel. "Und die
Händler machen wieder Kontingente für uns", so Reitmann.
Wenn möglich, dann behelfen sie sich damit, dass sie Medikamente
für besonders fragile Patienten zurücklegen. Vor allem dann, wenn
es keine Möglichkeit gegenüber dem Patienten gibt, auf andere
Medikamente auszuweichen. "Das geht nicht bei jedem Patienten",
betont Irene Bittner. Besonders schwierig sei die Zeit mit der
hohen Anzahl an Patienten mit Erkältungen gewesen. Das seien "ganz
kritische Wochen" gewesen. "Wir hatten kaum noch die Möglichkeit,
irgendein Antibiotikum in irgendeiner Form zu bekommen. Das war
kurz vor dem Zusammenbruch. Wir hatten hier weinende Mütter, die
etwas für ihre Kinder brauchten, und wir mussten sie wegschicken,
weil wir nicht ausreichend Medikamente dieser Art bekommen haben.
Eine harte Zeit auch für uns", schildert Heike Helfst. Dieser
Engpass an Antibiotika sei weiterhin gegeben. Oft werde der Kontakt
mit den Praxen für bestimmte Fälle gesucht, um mit Medikamenten
anderer Dosierungen, mit einem anderen Wirkstoff weiterhelfen zu
können. "Während der Corona-Pandemie konnten wir aus einer 30er
Packung zehn für einen Patienten entnehmen, um akut etwas helfen zu
können. Das war extrem stressig, aber so konnten wir helfen,"
schildert Bittner. "Diese Regeln sollen im neuen Gesetz nicht eins
zu eins verlängert werden, obwohl sie sich bewährt haben. Die
Apotheke weiß, was sie tun soll", kritisiert Götzlaff. Diese
Flexibilität wird wegfallen. "Uns wird als Apothekern ein Stück der
Freiheiten weggenommen, die uns während der Coronapandemie
eingeräumt wurden. Nämlich dass wir mehr unbürokratisch mit
Rechtssicherheit machen durften. Der Gesetzentwurf sorgt hingegen
dafür, dass wir deutlich mehr Bürokratie haben werden. Zum Beispiel
dadurch, wenn wir vermehrt Patienten zu Arztpraxen zurückschicken
müssen, um sich ein anderes Medikament verordnen zu lassen, dass
vorrätig ist." Überhaupt seien in diesem Zusammenhang die Apotheker
"nicht wirklich" dazu gehört worden.
Die Anzahl der nicht verfügbaren Rabattarzneimittel lag 2020 bei
16,7 Millionen Packungen. Betroffen war somit jedes 38.
Arzneimittel verordneter Packungen. In der Rangliste der
Nichtverfügbarkeiten lagen im Jahr 2020: Blutdrucksenker vor
Diabetesmittel, Säureblocker und Schmerzmittel. Die Lieferengpässe
sind ein dauerhaftes Problem, erklärt die Bundesvereinigung
Deutscher Apothekerverbände e. V. (ABDA). Die Ursachen sind
vielfältig. Wirkstoffproduktionen finden aus Kostengründen oft in
nur wenigen Betrieben in Fernost statt. Steht die Produktion still,
können auch Hersteller in Europa ihre Arzneimittel nicht liefern.
Der Ukraine-Krieg habe die Versorgungssituation verschärft.
Noch schlimmer sei im Augenblick, so Götzlaff, dass es vor dem
neuen Gesetzt eigentlich eine Übergangsregelung geben sollte, die
vom Bundesrat bestätigt, aber noch nicht unterschrieben wurde.
Somit konnte sie bisher nicht in Kraft treten. "Dementsprechend
stehen wir seit Ostersamstag aktuell in einer zusätzlich besonders
misslichen Lage."
Ist das neue Gesetz, mit dem das Bundesgesundheits-Ministerium
künftig Lieferengpässe bei der Versorgung mit bestimmten
patentfreien Medikamenten verhindern will, der richtige Weg? Ein
Gesetz, mit dem vor allem der Mangel an Mittel zur Behandlung von
Krebserkrankungen, an Antibiotika und auch an einigen Arzneien für
Kinder verhindert werden soll? Götzlaff: "Das Gesetzt spricht von
einer vermehrten Lagerhaltung von Medikamenten. Aber wenn nichts da
ist, kann man auch nichts einlagern. Das Gesetzt wird nicht
kurzfristig zu einer Lösung des Medikamentenproblems führen.
Mindestens die nächsten ein bis zwei Jahre werden wir mit solchen
Lieferengpässen zu tun haben." Alles führe zu einem deutlichen
Mehraufwand, "bei einer Entschädigung von 50 Cent pro Vorgang für
den Apotheker. Sicherlich keine angemessene Vergütung für das
Management des Mangels. Eher eine Ohrfeige für die Apotheker."
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Weiterhin hoher Lieferengpass bei Medikamenten
Neues Gesetz beschneidet Flexibilität zur Hilfe für die Patienten
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