Angesichts einer wachsenden Arzneimittelknappheit in Deutschland
hat die Bundesärztekammer die Bevölkerung zur Solidarität
aufgerufen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
listet derzeit weit über 300 Medikamente auf, die aufgrund von
Lieferengpässen nicht oder nur im begrenzten Umfang zur Verfügung
stehen. Auch Mittel für Kleinkinder sind darunter. Mangellage
vor allem bei Fiebersäften und Antibiotika
Eine Mangellage gibt es aktuell vor allem bei Fiebersäften und
Antibiotika. Wir erleben aktuell eine Knappheit bei
Fieberschmerzsäften mit Ibuprofen sowie Paracetamol und bei
Basisantibiotika wie etwa Penicillin. Basisantibiotika sind aber
für 70 bis 80 Prozent der Bakterien das Mittel der Wahl.
Kurzfristige Abhilfe sollen Flohmärkte für Arzneimittel bringen.
Diese sind vom Lösungsansatz allerdings mehr ein Offenbarungseid
als eine wirklich ernst gemeinte Strategie zur Abwendung der
Arzneimittelknappheit.
Auch vor der Tür angekommen
Klaus Bellwinkel, Inhaber der B33 Apotheken in Schaumburg sieht die
gerade beschriebene Situation dramatisch - und das nicht erst seit
dem Aufkommen der aktuellen Lieferschwierigkeiten. "Nennen Sie mir
einen beliebigen Buchstaben aus dem Alphabet und ich nenne Ihnen
ein dementsprechendes Produkt mit dem jeweiligen Anfangsbuchstaben,
das aktuell nicht verfügbar ist", beschreibt Bellwinkel die "mehr
als angespannte" Lage bildlich. Mittlerweile betrifft es seinen
Beobachtungen nach die komplette Bandbreite der Medikamente. Grund
dafür, dass es sich bei der Knappheit nicht nur um bestimmte
Medikamente handelt, liegt in der Tatsache begründet, dass die
Problematik erheblich vielfältiger ist, als das reine Fehlen eines
Wirkstoffes. Zum Beispiel sorgt die Gaspreiskrise dafür, dass
kleine Glasflaschen derzeit erheblich teurer sind und so zur
Mangelware werden. Darüber hinaus spielt auch der aktuelle
Krankheitsstand bei den Herstellern eine Rolle. Noch extremer wird
es bei den Verpackungen für die Arzneimittel. So gibt es laut
Bellwinkel erhebliche Engpässe durch die Verknappung bei
Umkartonagen, Folien und Blisterverpackungen. Ein Hersteller hat
ihm in diesem Zusammenhang erzählt, dass ein chinesisches
Unternehmen in Kanada, dem Haupt-Exporteur der Verpackungen für
Arzneimittel, sämtliches Kartonmaterial aufgekauft habe, um dieses
auf dem Weltmarkt mit ordentlich Gewinn weiter zu verkaufen. So
wird deutlich, dass das Problem auch in der globalen
Marktwirtschaft liegt.
Preispolitische Bandagen
Doch damit nicht genug. Dass Deutschland im Wettbewerb eher
schlecht dasteht, begründet der Rintelnder Apotheker auch mit dem
Umstand, dass es hier den so genannten Arzneipreis-Deckel gibt, der
zudem auch noch seit 2007 nicht angepasst wurde. "Wir haben es mit
weltweiten Konzernen zu tun, die ihre Arzneimittel an diejenigen
verkaufen, die am meisten Geld dafür bezahlen. Der in Deutschland
bestehende Preis-Deckel ist kontraproduktiv und beschränkt die
Möglichkeiten, den Zuschlag für Produkte zu bekommen" beschreibt
Bellwinkel die kritische Situation. "Wenn es geht, suchen wir
aktuell mittlerweile bei jedem dritten bis vierten Rezept in
Rücksprache mit dem Arzt nach Alternativen, da das ursprünglich
verschriebende Präparat nicht lieferbar ist. Apotheker Bellwinkel
ist dabei noch relativ gut dran, da er durch seine insgesamt vier
Apotheken eine andere Lagerkapazität vorhalten kann.
Kontingente vorgegeben
Doch mittlerweile stößt auch er an seine Grenzen. Denn alles was
nachkommt, wird durch die im Markt bestehenden fünf bis sechs
Großhändler aufgrund eines Beschlusses des Bundesinstituts für
Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) kontingentiert. "Durch den
pharmazeutischen Großhändler ist die ordnungsgemäße Versorgung der
Apotheken in Deutschland zur gesetzlichen Mindestbevorratung von
einer Woche (§ 15 Abs. 1 ApBetrO) sicherzustellen. Die Belieferung
mit Arzneimitteln soll auf der Basis der Abgabemengen des Vorjahres
erfolgen" heißt es in der allgemeinen Anordnung an die
pharmazeutischen Unternehmer und die pharmazeutischen Großhändler
zur Lagerhaltung und bedarfsgerechten Belieferung von
Humanarzneimitteln (Kontingentierung). Doch wie kann dieser
Entwicklung kurzfristig entgegengewirkt werden? Laut Bellwinkel
gestaltet sich dies als eher schwierig bis unmöglich. Denn durch
die kontinuierliche Bürokratisierung und zeitaufwändige
Genehmigungsverfahren ist ein beherztes Herumreißen des Ruders
nicht möglich. Die einzige Chance sieht der Apotheker in der
sofortigen Abschaffung des Arzneipreis-Deckels, damit Deutschland
auf dem Arzneimittel-Weltmarkt konkurrenzfähig bleiben kann und
somit genug Ware eingekauft werden kann.
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Viele Medikamente zurzeit nicht lieferbar
Bundesärztekammer schlägt Flohmärkte für Medikamente vor
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