Der Kunstverein hat ein weiteres Jahr voller Herausforderungen
hinter sich Im Gespräch mit dem Wunstorfer Stadtanzeiger ordnet
Geschäftsführer Ingolf Heinemann die Lage ein. Er sagt, kreative
Lösungen erfordern viel Kraft.
(tau): Herr Heinemann, im vergangenen Jahr sprachen Sie davon,
dass Ihre Schmerzgrenze erreicht sei, wenn Publikum und Geldgeber
das ehrenamtliche Engagement für die Kunst nicht mehr wertschätzen
würden. Wie hat sich das in diesem Jahr entwickelt, ist der
Kunstverein zufrieden mit der Unterstützung oder sitzt Kunst doch
allein im Boot?
Heinemann: 2022 stellt ein weiteres Jahr voller Herausforderungen
dar. Dass wir der Kunst in Wunstorf trotz aller Schwierigkeiten
auch in diesem Jahr eine Stimme geben und damit die Kulturszene in
Wunstorf bereichern konnten, verdanken wir den Freunden und
Förderern des Kunstvereins, die uns auch für 2023 ihre
Unterstützung zugesagt haben. Ebenso wichtig wie die finanzielle
Unterstützung ist die Wertschätzung unserer Arbeit und das Credo
für eine lebendige Kunstszene in Wunstorf durch Bürgermeister
Carsten Piellusch und die Erste Stadträtin Wiebke Nickel. Neben der
Stadt stehen auch weiterhin die Stadtsparkasse Wunstorf, die
Volksbank Schaumburg/Nienburg, cantera by Wiegand und die
Medienagentur Drive als Partner an unserer Seite. Nicht zu
vergessen die privaten Förderer aus den eigenen Reihen.
(tau): Im vergangenen Jahr hieß es Kunst trotzt Corona, muss es
jetzt heißen Kunst trotzt dem Krieg in Europa?
Heinemann: Es könnte nach nunmehr drei Jahren im Krisenmodus
durchaus heißen: Kunst trotz(t) Krisen und Krieg.
(tau): Inzwischen ist überall Energiesparen angesagt.
Sporthallen werden vorsorglich über Weihnachten geschlossen, Teile
der Stadtverwaltung (Bauamt) arbeitet jetzt freitags immer von zu
Hause aus. Befürchten Sie, dass der Kunst im nächsten Jahr
buchstäblich der Saft abgedreht wird?
Heinemann: Dass der Kunst aufgrund der Energiekrise und des
Sparzwanges der Hahn abgedreht, bzw. der Strom ausgeschaltet wird,
kann und will ich mir nicht vorstellen, weil das zwangsläufig dazu
führen würde, den Ausstellungsbetrieb einzustellen. Ohne Licht
keine Kunst.
(tau): Und man braucht auch Künstler. Wie kommen sie durch die
Krisen und wie hoch ist das Interesse an Ausstellungen in
Wunstorf?
Heinemann: Dass die Attraktivität des Kunstvereins trotz aller
Krisen stetig zugenommen hat, lässt sich an der Vielzahl der
Bewerbungen von Künstlern und Künstlerinnen aus dem gesamten
Bundesgebiet ablesen. Zum Jahresende lagen 35 Bewerbungen vor,
deren Sichtung und Beurteilung für den Beirat des Kunstvereins mit
einem enormen Zeitaufwand verbunden ist. Da 2024 der Kunstverein
sein 40-jähriges Bestehen feiert, haben wir die Möglichkeit, aus
einem großen Pool spannender Themen zu schöpfen. Es zeigt aber
andererseits die Not vieler, nicht aus der öffentlichen Wahrnehmung
zu verschwinden, also durch Ausstellungen sichtbar zu bleiben. Das
große Interesse an Ausstellungen in der Abtei kann auch nicht
darüber hinwegtäuschen, dass die Besucherzahlen trotz verstärkter
Werbung und trotz unseres attraktiven Programms zurückgegangen
sind. Zum einen sind das die Auswirkungen der Pandemie, die 2020
infolge der Panikmache und der Lockdowns alles auf den Kopf
gestellt hat, und zum anderen liegt es an der Altersstruktur der
Mitglieder und des Kunstpublikums.
(tau): Wie wollen Sie dem entgegenwirken?
Heinemann: Das altbewährte Format "Kunstverein" trotzdem in die
Zukunft zu tragen, wird abhängig davon sein, inwieweit der
Verjüngungsprozess erfolgreich ist und das Ehrenamt nicht als
Bürde, sondern als Chance begriffen wird, einen Beitrag für eine
intakte und tragfähige Zivilgesellschaft zu leisten. Ich habe den
Kunstverein nie isoliert gesehen und halte es für dringlicher denn
je, sich mit den Kulturschaffenden, Künstlern und
Kunstinteressierten, Politikern, Unternehmern und Geschäftsleuten
an einen Tisch zu setzen, Kooperationen herzustellen und den
Kunstverein weiter zu vernetzen. Konkret sieht das so aus, dass ich
die Kontakte zum Kunstverein und Kulturnetzwerk Neustadt, zur
Altrewa-Bürgerstiftung im Neustädter Rosenkrug, zum Kulturnetzwerk
Garbsen, zur GalerieN in Nienburg, zur Galerie Nienhaus1 in Bassum,
zum Kunsthof Mehrum, zum Atelier Ruth Cordes im Tabakquartier
Bremen und Syke und zum Kunst- und Museumskreis Bad Essen gepflegt
und weiter ausgebaut habe.
(tau): Und was geschieht hier in Wunstorf?
Heinemann: Auf Initiative von Ulrike Coldewey (Kunstschule), Hajo
Arnds (Krug e.V.) und mir hat sich der Arbeitskreis Kulturnetzwerk
Wunstorf konstituiert, der an der Bestandsaufnahme der
Kulturschaffenden und Künstler in Wunstorf arbeitet und eine
Veranstaltung im Herbst 2023 plant, bei der sich die Wunstorfer
Kulturszene präsentieren soll. Eine weitere Maßnahme bestand in der
Schaffung eines neuen Kunstraumes "Kunst im cantera". Dort steht
der Lichtflur des Hotels Künstlern und Künstlerinnen zur Verfügung.
Den Anfang machte ich mit der Ausstellung "Land in Sicht" im Sommer
2021. Die Ausstellung "Ins Unendliche" der renommierten Wunstorfer
Künstlerin Karin Bach folgte 2022 und im Frühjahr 2023 wird der
Ausstellungsreigen fortgesetzt mit Bildern des Steinhuder Malers
Franz-Josef Küster. So sieht unsere Reaktion auf die
Kulturlockdowns und Krisen aus, die der Kulturszene seit 2020 hart
zugesetzt haben. Den verordneten Stillstand mit kreativen Lösungen
zu überwinden, erforderte viel Kraft, zusätzliche Zeit und einen
erheblichen finanziellen Mehraufwand. Das wird auch in Zukunft
notwendige Voraussetzung sein, wenn Kunst und Kultur das soziale
Miteinander stärken, die Spaltung der Gesellschaft bremsen und
demokratierelevant bleiben soll. Foto: tau
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„Kreative Lösungen erfordern viel Kraft“
Ingolf Heinemann im Stadtanzeiger-Gespräch
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