Vier Außenminister und zahlreiche diplomatische Verwicklungen
hat Chrobog erlebt und wurde sogar einst mit seiner gesamten
Familie im Jemen entführt. Unter dem Titel "Ein Leben für die
Politik - Betrachtungen eines Diplomaten" ließ er die Gäste an
seinen Erlebnissen teilhaben. Kindermann kündigte den Gast, der
neben den Außenministern Scheel, Genscher, Kinkel und Fischer
arbeitete, als jemanden mit "einem unschätzbaren Wert an
Lebenserinnerungen, dessen Lebenswerk eine Richtschnur ist für
alle, die Verantwortung für das Land übernehmen wollen". Bewusst
las Chrobog dabei nicht aus seinem Buch "Ein Leben für die Politik"
vor, sondern erzählte frei aus seinen Erinnerungen.
Gefährliche Zeit
"Unsere Generation hat danach keine großen Kriege in der EU,
sondern eine ungewöhnlich friedliche Zeit erlebt. Ich befürchte
jedoch, dass es für unsere Kinder und Enkel schwierig wird, denn
wir leben in einer außerordentlich gefährlichen Zeit". Rückblickend
auf acht Jahrzehnte seines Lebens, seien viele prägende Dinge
"hängen geblieben". "Ein limitierter Lebensentwurf in der
Nachkriegszeit begrenzte auch das Denken", konstatiert
Chrobog.
Spannende Erlebnisse
Als persönlicher Referent Genschers seien Reisen nach Brüssel und
in die gesamte EU an der Tagesordnung gewesen. "Die Probleme, die
er lösen wollte, sind ähnlich denjenigen, wie wir heute lösen
müssen - nur mit weniger Krieg", konstatiert Chrobog. Wir wollten
alle die Wiedervereinigung und die Haupthelfer waren nicht die USA,
sondern Russland. Die guten Beziehungen zu Gorbatschow waren von
Wert". Auch Putin habe Chrobog persönlich getroffen. "Die
Beziehungen zu Moskau waren damals, zu seiner Rede 2002 im
Bundestag, nicht schlecht. Die Veränderungen seit seiner zweiten
Amtszeit sind hingegen kaum nachvollziehbar. Damals sind wir gut
zurechtgekommen", schlussfolgert Chrobog.
Entführt und festgehalten
Anschließend hat Chrobog die BMW-Stiftung in München geleitet.
2005, bei einer privaten Reise durch den Jemen, wurde er und seine
gesamte Familie entführt und mehrere Tage festgehalten, um die
Freilassung Gefangener zu erzwingen. "Eine lehrreiche und
interkulturelle Zeit - aber meine gesamte Familie bewertet dies
unterschiedlich", so die nüchterne Zusammenfassung des Diplomaten.
"Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie uns umbringen wollten, aber
meine Frau und Kinder sehen das anders".
Politischer Verstand
Für den Krieg in der Ukraine urteilt er : "Russland darf nicht
gewinnen. China wird sonst sofort in Taiwan einmarschieren und da
trauen sich noch weniger, Krieg gegen zu führen". Dennoch sieht
auch er das Thema schwere Waffenlieferungen differenziert: "Scholz
hat recht, dass er die Politik zu ruhig führt. Dies geht nur im
Verbund, anders wären wir das erste Ziel eines Atomschlags". Ein
Sturz Putin hingegen bringe die Gefahr, dass Militärs und
Rechtsextreme an die Macht kommen würden. "Wir sind zwischen übel
und ganz übel und können nur auf Friedensverhandlungen hoffen. Den
Donbass können wir Putin dennoch nicht schenken - es braucht viel
politischen Verstand in der Zukunft", so seine Prognose.
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"Damals mit Putin gut zurechtgekommen"
Ehemaliger Staatssekretär Jürgen Chrobog referiert bei Seniorenunion
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