1. "Damals mit Putin gut zurechtgekommen"

    Ehemaliger Staatssekretär Jürgen Chrobog referiert bei Seniorenunion

    Dieser Eintrag wird bereitgestellt durch Schaumburger Wochenblatt | Impressum

    Vier Außenminister und zahlreiche diplomatische Verwicklungen hat Chrobog erlebt und wurde sogar einst mit seiner gesamten Familie im Jemen entführt. Unter dem Titel "Ein Leben für die Politik - Betrachtungen eines Diplomaten" ließ er die Gäste an seinen Erlebnissen teilhaben. Kindermann kündigte den Gast, der neben den Außenministern Scheel, Genscher, Kinkel und Fischer arbeitete, als jemanden mit "einem unschätzbaren Wert an Lebenserinnerungen, dessen Lebenswerk eine Richtschnur ist für alle, die Verantwortung für das Land übernehmen wollen". Bewusst las Chrobog dabei nicht aus seinem Buch "Ein Leben für die Politik" vor, sondern erzählte frei aus seinen Erinnerungen.
    Gefährliche Zeit
    "Unsere Generation hat danach keine großen Kriege in der EU, sondern eine ungewöhnlich friedliche Zeit erlebt. Ich befürchte jedoch, dass es für unsere Kinder und Enkel schwierig wird, denn wir leben in einer außerordentlich gefährlichen Zeit". Rückblickend auf acht Jahrzehnte seines Lebens, seien viele prägende Dinge "hängen geblieben". "Ein limitierter Lebensentwurf in der Nachkriegszeit begrenzte auch das Denken", konstatiert Chrobog.

    Spannende Erlebnisse
    Als persönlicher Referent Genschers seien Reisen nach Brüssel und in die gesamte EU an der Tagesordnung gewesen. "Die Probleme, die er lösen wollte, sind ähnlich denjenigen, wie wir heute lösen müssen - nur mit weniger Krieg", konstatiert Chrobog. Wir wollten alle die Wiedervereinigung und die Haupthelfer waren nicht die USA, sondern Russland. Die guten Beziehungen zu Gorbatschow waren von Wert". Auch Putin habe Chrobog persönlich getroffen. "Die Beziehungen zu Moskau waren damals, zu seiner Rede 2002 im Bundestag, nicht schlecht. Die Veränderungen seit seiner zweiten Amtszeit sind hingegen kaum nachvollziehbar. Damals sind wir gut zurechtgekommen", schlussfolgert Chrobog.

    Entführt und festgehalten
    Anschließend hat Chrobog die BMW-Stiftung in München geleitet. 2005, bei einer privaten Reise durch den Jemen, wurde er und seine gesamte Familie entführt und mehrere Tage festgehalten, um die Freilassung Gefangener zu erzwingen. "Eine lehrreiche und interkulturelle Zeit - aber meine gesamte Familie bewertet dies unterschiedlich", so die nüchterne Zusammenfassung des Diplomaten. "Ich hatte nicht das Gefühl, dass sie uns umbringen wollten, aber meine Frau und Kinder sehen das anders".

    Politischer Verstand
    Für den Krieg in der Ukraine urteilt er : "Russland darf nicht gewinnen. China wird sonst sofort in Taiwan einmarschieren und da trauen sich noch weniger, Krieg gegen zu führen". Dennoch sieht auch er das Thema schwere Waffenlieferungen differenziert: "Scholz hat recht, dass er die Politik zu ruhig führt. Dies geht nur im Verbund, anders wären wir das erste Ziel eines Atomschlags". Ein Sturz Putin hingegen bringe die Gefahr, dass Militärs und Rechtsextreme an die Macht kommen würden. "Wir sind zwischen übel und ganz übel und können nur auf Friedensverhandlungen hoffen. Den Donbass können wir Putin dennoch nicht schenken - es braucht viel politischen Verstand in der Zukunft", so seine Prognose.

  2. Kommentare

    Bitte melden Sie sich an