1. 20 Jahre „BISS“-Beratungsstelle in Schaumburg

    Startschuss nach Inkrafttreten des Gewaltschutzgesetzes

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    Vor über 20 Jahren betraten Sozialarbeiterinnen, Polizeibeamte und Gerichte mit der Einrichtung der Beratungs-und Interventionsstelle bei häuslicher Gewalt, kurz "BISS" genannt, neue Wege bei der Bekämpfung häuslicher Gewalt . Am 1. Januar 2002 trat das Gewaltschutzgesetz in Kraft und sorgte für einen Paradigmenwechsel, insbesondere bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten. Bis zu dem Zeitpunkt lag der Fokus der Strafverfolgungsbehörden bei der "Schlichtung von Familienstreitigkeiten", ab dem Stichtag konnten Polizei und Staatsanwaltschaft gefahrenabwehrende Maßnahmen anordnen, unter anderem einen Platzverweis -Wegweisung -genannt, gegen den in der Regel männlichen Täter.
    "Wer schlägt, muss gehen!" Grundsatz des Gewaltschutzgesetzes
    In einem Pressegespräch blickten die Geschäftsführerin der AWO, Heidemarie Hanauske, die Mitarbeiterin in der Beratungsstelle, Gabriele Rudnick sowie der Leiter der Polizeiinspektion (PI) Nienburg/Schaumburg, Mathias Schröder, auf die vergangenen Jahre zurück, schilderten die Entwicklung der Beratungsstelle und wagten einen Ausblick auf die zukünftige Arbeit. Begonnen hatte die Tätigkeit der BISS mit einem 3-jährigen Modellprojekt mit anfangs 13 Wochenstunden. Verbunden war die Arbeit mit einer engen Kooperation mit der örtlichen Polizei - ebenfalls eine neue Erfahrung, die sich insbesondere durch die handelnden Personen schnell etablierte. Die Polizei meldet seitdem jeden bekannt gewordenen Fall an die BISS und die Mitarbeiterinnen nehmen von dort pro-aktiv Kontakt mit der betroffenen Frau auf - ebenfalls eine damals neue Methode für die Sozialarbeiterinnen. Rückblickend bestätigt Heidemarie Hanauske, dass sich dieser Weg als sehr geeignet erwiesen habe. Die betroffenen Frauen konnten so sehr frühzeitig Beratung in Anspruch nehmen, und das niederschwellig, vertraulich, ohne Kosten und auf Wunsch komplett anonym.
    Natürlich haben die BISS-Mitarbeiterinnen eine Schweigepflicht, BISS-Beraterin Gabriele Rudnick
    Nach Ablauf des Projektes und den positiven Evaluationsergebnissen des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen, übernahm die AWO die Trägerschaft der Stelle. Auch die Polizei hatte anfängliche Vorbehalte, zum Beispiel beim Thema Datenschutz, schnell überwunden und arbeite im Rahmen der Krisenintervention nun mit dem guten Gefühl, nach dem ersten Einsatz, die Betroffene an Fachfrauen weiterleiten zu können, schilderte Mathias Schröder seine Erfahrungen. Durch die lange, vertrauensvolle Zusammenarbeit sind heute gemeinsame Gefährdungseinschätzungen die Regel und der Leiter der PI wünscht sich zukünftig eine noch engere Zusammenarbeit sowie einen noch engeren Austausch. In Schaumburg etablierte sich sehr früh ein "Runder Tisch BISS" mit vielen Teilnehmern aus nahezu allen Bereichen der sozialen Arbeit, Justiz, Polizei, Täterberatung, Medizin, häufig verbunden mit Vorträgen zu speziellen Themen. Aufgrund der positiven Erkenntnisse aus dem Runden Tisch, wurden spezielle Arbeitsgruppen (AG) gebildet, die sich heute unter anderem mit den Themen" AG Kind" und der "AG Besondere Gefährdung" befassen. Seit 2005 existiert ein Kooperationsvertrag mit der PI Nienburg/Schaumburg und die Wochenstunden der BISS sind mit Stand von heute auf 25 Wochenstunden aufgestockt worden. Das Beratungsvolumen hat ständig zugenommen, auch von häuslicher Gewalt betroffene Männer können sich an die Beratungsstelle wenden. Die Corona-Zeit hat die Zahlen steigen lassen. Schulschließungen und Arbeitslosigkeit haben wesentlich dazu beigetragen, so Gabriele Rudnick. In den Jahren 2019 bis 2021 nahm die Zahl der Beratungen um circa 50 Prozent zu. Ein nächster großer Schritt in der Weiterentwicklung der Bekämpfung häuslicher Gewalt ist ein neuer Erlass, dessen Veröffentlichung kurz bevorstehe, berichtete Mathias Schröder. Diese "Handreichung 3" biete eine Reihe weiter entwickelte Interventionsmöglichkeiten und setze neue Maßstäbe in der Zusammenarbeit. Der Leiter der Polizeidienststellen in Schaumburg und Nienburg will auch in der Fortbildung seiner Mitarbeiter neue Wege gehen und das Thema neben Präsenz- und Online-Fortbildungen, in die praktische Fortbildung einbauen. Die Geschäftsführerin der AWO führte in der Statistik der BISS von 2002 bis September 2022 insgesamt 4159 bekanntgewordene Fälle auf, die Zahl der mitbetroffenen Kinder betrug 3325. Im Durchschnitt stiegen die Fallzahlen um jährlich circa 125 Fälle, wobei das Jahr 2021 mit einer Steigerung um 350 Vorfälle besonders heraussticht. "Dieser Anstieg ist sicherlich nicht nur ein Zeichen für eine Zunahme häuslicher Gewalt, sondern auch für eine wachsende Enttabuisierung des Themas…," heißt es in der Pressemeldung. Und weiter:" So gesehen bedeuten 20 Jahre BISS sicherlich eine Erfolgsgeschichte, wenngleich noch viele Aufgaben bleiben und sich letztlich jede Beraterin wünscht, diese Tätigkeit würde nicht mehr benötigt."

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