Morgen wird in vielen Kirchen das Erntedankfest gefeiert. Dazu
werden die Gotteshäuser aufwändig dekoriert mit Blumen, Obst und
Feldfrüchten. Alle Sinne werden angesprochen durch die bunte
Üppigkeit und die vertrauten Lieder. "Wir pflügen und wir streuen"
heißt ein Klassiker von Matthias Claudius. Aber ist das überhaupt
noch zeitgemäß? Von "Wir" kann ja schon lange nicht mehr die Rede
sein. Erntedankfeste sind wohl die ältesten Feste der Menschheit
und stammen eben aus Zeiten, wo noch viele Menschen unmittelbar mit
der Landwirtschaft verbunden waren. Sie erfuhren noch hautnah, was
es heißt, für eine lebenssichernde Ernte zu arbeiten. Sie spürten
noch Stolz und Erleichterung über das Erreichte, verbunden mit der
Dankbarkeit für den himmlischen Segen, der dazukommen musste.
Aber heute? Gerade mal etwas mehr als 1% der Bevölkerung arbeitet
noch im primären Wirtschaftszweig "Landwirtschaft, Forstwirtschaft
und Fischerei", im Jahr 1950 waren es dagegen noch 25%. Die Zahl
der Betriebe sinkt kontinuierlich. Auf der anderen Seite stehen
enorme Steigerungen. Der Landwirt von 1950 konnte für 10 Menschen
Nahrung produzieren, der Landwirt von heute sättigt 140. So konnten
wir alle im Laufe der Zeit immer mehr aus dem Vollen schöpfen,
haben aber gleichzeitig auch vielfach den Bezug verloren zu den
Grundlagen des Lebens. Es soll ja schon Kinder gegeben haben, die
sich wunderten, dass Kühe in natura nicht lila sind. Lange Jahre
haben wir uns gut darin eingerichtet, dass alles zu jeder Zeit
immer reichlich und preiswert vorhanden ist. Allmählich setzt nun
ein Umdenken ein. Massenproduktion hat auch ihre Schattenseiten,
aber Massenkonsum eben genauso. Erzeuger und Verbraucher müssen
ihre Verhaltensweisen überdenken und anpassen im Blick auf die
großen Themen wie Klimawandel, Nachhaltigkeit, Tierwohl und
Gesundheit.
In diesem Jahr gilt mein Erntedank besonders dem Schöpfer, der uns
seine wunderbare Schöpfung anvertraut hat, um sie zu bebauen und zu
bewahren. Und er gilt den Landwirten und Landwirtinnen sowie allen
in der Lebensmittelherstellung Tätigen, die für unsere Ernährung
garantieren und dabei als Erste schon mit den Folgen des
Klimawandels zurechtkommen müssen. Und er gilt den vielen
Engagierten, die sich dafür einsetzen, dass Hungernde satt werden.
Für mich ist Erntedank überhaupt nicht aus der Zeit gefallen.
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Erntedank – aus der Zeit gefallen?
Pastorin Wiebke Dankowski, ev.-luth. Erlöser-Kirchengemeinde Krankenhagen
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