Es gibt Momente, die einen tiefen Eindruck hinterlassen. Einer dieser Momente war die Lesung von Andrea Sawatzki im Rintelner Prinzenhof im Rahmen der Reihe "Kultur zur Teezeit". Zum einen war da diese Frau, die man ja aus dem Fernsehen als Gundula Bundschuh kennt und die dort schon mit ihrer zierlichen Zerbrechlichkeit unglaubliche Szenen bewältigen muss, so dass man ein Stück weit mitfühlt und sein eigenes Leben plötzlich gar nicht mehr als so kompliziert empfindet. Zum anderen ist da aber auch eine bislang kaum bekannte Offenheit des Menschen Andrea Sawatzki, die ihre Kindheit in einem Buch aufarbeitet und dabei auch ihr Inneres nach außen kehrt. Nicht ganz ungeschminkt, denn sie nennt ihr Buch "autofiktional", also ein wenig autobiografisch und ein wenig fiktional. Was was ist, das bleibt dem Leser überlassen. Aber ein wenig Einblick in das, was nicht fiktional ist, brachte die überaus sympathische Schauspielerin ihrem Publikum auch schon während der Lesung näher. So entstand sie aus einer Liaison ihres Vaters, einem angesehen Journalisten, mit ihrer Mutter, einer Krankenschwester, auf der Insel Elba. Bis zu ihrem 8. Lebensjahr lebte sie mit ihrer Mutter alleine in Vaihingen an der Enz: "Eine glückliche Zeit mit grenzenloser Freiheit!" Als ihr Vater dann aus London abberufen wird und sein altes Leben aufgibt und mit seiner Geliebten in die Brunnenstraße zieht, hat Andrea Sawatzki endlich - wie alle anderen Kinder auch - einen richtigen Vater. Doch das Glück ist kurz, der Vater sieht sie als Konkurrenz zur Mutter und dann erkrankt er auch noch schwer an Demenz: "Alzheimer war damals noch nicht gesellschaftsfähig und es gab keine Hilfe!" Ihr Buch sei auch ein wenig ein Tagebuch der Schuld, denn es gab auch Momente, wo sie sich nichts mehr gewünscht habe, als den Tod ihres Vaters: "Viele Menschen halten ihr Kindheit in einem kleinen Kästchen verschlossen und haben Angst davor, dass jemand es auf macht. Das Buch soll dabei helfen, die Angst zu überwinden", so Andrea Sawatzki, die im Anschluss an die Lesung bereitwillig Autogramme in ihre Bücher schrieb. Eine starke Frau, eine starke Kulturveranstaltung, ein echtes "Muss" für Andrea Sawatzki Fans.
-
Das kleine Kästchen Kindheit ein Stück weit geöffnet
"Brunnenstraße": Ein autofiktionaler Roman von Andrea Sawatzki über ihre Kinderjahre
Dieser Eintrag wird bereitgestellt durch Schaumburger Wochenblatt | Impressum