1. Seit über fünfzig Jahren fah...

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    Seit über fünfzig Jahren fahre Auto. Natürlich bin ich davon überzeugt, dass ich eine sehr gute Fahrerin bin. Diejenigen, die vor mir her fahren, sind ohnehin schlechte Autofahrer: sie fahren zu langsam, bremsen unkontrolliert oder wissen nicht, wie breit ihr Wagen ist. Und dann sind da noch diejenigen, die hinter mir fahren: sie fahren zu dicht auf oder meinen, sie müssten hupen, weil ich mich in der verkehrsberuhigten Zone an die Geschwindigkeitsbegrenzung halte. Auf der Autobahn überholen sie mich, scheren anschließend viel zu früh ein und verringern meinen Sicherheitsabstand. Ich muss dann natürlich abbremsen. Kurz gesagt: ich habe oft den Eindruck, ich bin die einzige auf der Straße, die gut Auto fahren kann. Eines Tages aber passierte folgendes: Ich hatte den Kofferraum unseres Kombis mit Leergut beladen und war auf dem Weg zum Getränkemarkt. Vor mir fuhr - mal wieder - jemand so langsam, dass ich an der Ampel halten musste, weil sie gleich nach ihm auf Rot gesprungen war. Das war schon ärgerlich genug. Doch nun fing der Fahrer hinter mir an zu hupen. Ich machte ihm Zeichen des Unverständnisses. Zwecklos: er hupte weiter. Gerade als ich mich richtig aufregen wollte, bog eine gute Bekannte von dem Zebrastreifen vor mir ab und kam an mein Seitenfenster. Sie sagte: "Ich glaube, der Fahrer will nur darauf aufmerksam machen, dass Ihre Heckklappe noch offen ist. Er hat wohl Bedenken, dass dort etwas rausfallen könnte." Sie hatte recht. Ich war doch tatsächlich mit geöffneter Heckklappe durch die halbe Altstadt gefahren! Nachdem ich mich bedankt und die Heckklappe geschlossen hatte, fiel mir der Satz aus der Bibel ein: "Was siehst du den Splitter in deines Bruders Auge, aber den Balken im eigenen Auge nimmst du nicht wahr?" (Lukas-Evangelium Kap. 6, Vers 41). Ich schämte mich. Das also kommt dabei raus, wenn ich nur auf die Fehler der anderen gucke! Die Bibelstelle geht ja noch weiter: "Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen." (a.a.O. Vers 42) Nun, das war mir eine Lehre! Und es hat mir gut getan: Ich weiß nun, ich bin nicht die Super-Fahrerin. Andere fahren auch gut - oder sogar noch besser. Und nun versuche ich, das Gelernte auch auf meinen übrigen Alltag anzuwenden. Erst mal nach meinen Fehlern schauen und dann erst - aber nur vielleicht - andere vorsichtig darauf hinweisen, was falsch läuft. Es gelingt mir nicht immer, aber immer öfter.

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