1. Das Personal kommt an die Grenze

    Hohe Belastung für Pflegende und Ärzteschaft / Neue Schulungen

    Dieser Eintrag wird bereitgestellt durch Schaumburger Wochenblatt | Impressum

    LANDKREIS (mk). Jeden Tag berichten die Nachrichten über steigende Infektionszahlen, jeden Tag müssen mehr Menschen mit Covid-19 auf der Intensivstation behandelt und beatmet werden, jeden Tag sterben Patientinnen und Patienten an dem Virus. Nach acht Monaten Corona-Pandemie sind die täglichen Zahlenkolonnen und Begriffe wie "Inzidenz", "Reproduktionsfaktor" oder "Lockdown" Teil unseres Lebens. Auch an den Mund-Nasen-Schutz, das Desinfizieren der Hände und das Abstandhalten an Supermarktkassen haben sich die Menschen gewöhnt - Corona gehört für die meisten mittlerweile zum Alltag. Im Gespräch mit Kerstin Aß, Stationsleitung Intensivstation, und Dr. Söhnke Theiß, Chefarzt der Fachabteilung Pneumologie, Intensiv- und Beatmungsmedizin, vom Agaplesion ev. Klinikum Schaumburgwird deutlich, dass Corona das Personal täglich vor neue Herausforderungen stellt. SW: Frau Aß, Herr Theiß: Wie hat Corona Ihren Arbeitsalltag verändert? Aß: Grundsätzlich ist es für uns Routine, täglich mit schwerstkranken Patienten umzugehen. Wir tauschen uns eng mit anderen Fachbereichen aus und verfügen über viel Fachwissen. Das ist beispielsweise im Umgang mit Beatmungsgeräten dringend erforderlich. Ich mache das seit über 30 Jahren und es ist meine Berufung. Doch mit Corona verändert sich die Situation jeden Tag, manchmal sogar stündlich. Theiß: Corona stellt uns vor zahlreiche Herausforderungen, wir unterstützen uns gegenseitig. Hinzu kommen noch die anderen Patienten, die nicht an Covid-19 erkrankt sind, die räumlich getrennt untergebracht sind und ebenfalls versorgt werden müssen. Seit circa zwei Wochen haben wir jetzt eine neue Intensiveinheit nur für Covid-19-Patienten mit einem höheren Personalschlüssel. So sind beispielsweise mehr Pausen möglich. Aß: Und das ist wichtig. Die beatmeten Patienten müssen häufig in Bauchlage gebracht beziehungsweise umgelagert werden. Mit allen Schläuchen und Zugängen eine körperlich herausfordernde Aufgabe, da sind drei bis vier Personen gefordert. Und das alles in der Schutzausrüstung, das ist eine hohe körperliche Belastung für die Mitarbeitenden. Wenn diese beispielsweise nach einer Stunde Behandlung am Patienten das Zimmer wieder verlassen sind sie schweißgebadet. Sie müssen sich dann vor dem nächsten Einsatz komplett umziehen. Das ist unheimlich anstrengend und kostet viel Zeit. Es macht mich daher sehr stolz mit wieviel Einsatz mein Team dort kämpft und die Patienten versorgt. Theiß: Aktuell nehmen wir zudem an einem EU-Schulungsprogramm für die Behandlung von Covid-19-Patienten teil, welches online und mit Virtual Reality vorhandenes Krankenhauspersonal schult, beispielsweise im Umgang mit Beatmungsgeräten. So können wir alle personellen Ressourcen ausschöpfen. SW: Haben Sie Angst, sich selbst anzustecken? Aß: Nein. Die Schutzausrüstung ist vorhanden und wir wissen damit umzugehen. Jeder kontrolliert vor dem Betreten eines Patientenzimmers die Schutzkleidung des anderen. Dieser Rückhalt ist sehr wichtig. Theiß: Wir kennen das ja, denn es gibt auf der Intensivstation immer wieder Patienten mit ansteckenden Krankheiten. Ehrlich gesagt, ist meiner Meinung nach die Ansteckungsgefahr in der Schlange vor der Supermarktkasse höher. Hier im Haus wird regelmäßig getestet, das wird gerne angenommen und gibt Sicherheit. Zudem sind wir alle mit den Hygienemaßnahmen mehr als vertraut - Mundschutz, Handschuhe, und ähnliches gehören zu unserem Arbeitsalltag. SW: Wie hat sich die Situation im Vergleich zum Frühjahr verändert? Aß: Wir haben mehr Intensivpatienten, meist mit einem lebensbedrohlichen Zustand. Theiß: In der ersten Phase sind wir sehr gut weggekommen. Die mittlerweile vorliegenden Akut- und Schnelltests helfen uns enorm bei der Einschätzung der Lage. Bei den Intensivpatienten ist der Krankheitsverlauf sehr langwierig. Es dauert, bis die Lunge wieder normal funktioniert. Die Membran, die für den Sauerstoffaustausch zuständig ist, schwillt bei Covid-19 an, deren Regeneration nimmt viel Zeit in Anspruch. Daher bleiben die Patienten länger und die Betten werden nicht frei - zwei bis drei Wochen sind keine Seltenheit. Auch die Langzeitfolgen können wir noch nicht abschätzen. Unsere Erfahrungen mit dem Virus sind gerade mal ein Jahr alt, das sollten wir bedenken. SW: Was wünschen Sie sich von der Bevölkerung und was von der Politik? Aß: Ich wünsche mir mehr Durchhaltevermögen und mehr Disziplin von der Bevölkerung. Den Menschen sollte bewusst werden, dass die Pandemie wirklich gefährlich ist. Theiß: Verständnis für die Einschränkungen ist ein großer Faktor. Es ist halt nichts mehr wie sonst. Einigen Mitarbeiterinnen von uns, die ihre Kinder in der Tagesstätte abliefern, ist zum Teil große Skepsis und Sorge entgegengekommen. Das ist traurig und erschreckend. Aß: Unsere Berufsgruppe ist durch die Pandemie stärker in den Fokus geraten, das ist wichtig. Denn die Ausbildungen im medizinischen und pflegerischen Bereich müssen gestärkt werden. Die physische und psychische Belastung ist sehr hoch. Jetzt sollten wir alle durchhalten und die Hoffnung nicht verlieren. SW: Frau Aß, Herr Theiß, vielen Dank für das Gespräch. Wir können die Herausforderung der Pandemie meistern, aber für die Zukunft ist ein Umdenken der Politik notwendig. Wir müssen aus der Situation lernen. Hier im Landkreis sind wir ganz gut aufgestellt und die Entwicklung im Bereich der Impfstoffe macht Hoffnung. Foto: Agaplesion ev. Klinikum Schaumburg gGmbH

  2. Kommentare

    Bitte melden Sie sich an