RIEHE (jl). "Daniel kommst du mal bitte, das ist, glaube ich, wichtig", ruft Ralf Schröder. Er steht mitten in einem acht Quadratmeter großen Rechteck am Lindenbrink in Riehe. Drei Schichten Erde haben er und seine ehrenamtlichen Mitstreiter seit dem Morgen bereits abgetragen - und zahlreiche Funde von mal mehr und mal weniger großem Interesse zutage befördert. Jetzt hält er zwischen Daumen und Zeigefinger ein kleines Fundstück. Daniel Lau, der als Kommunalarchäologe ebenfalls im Einsatz ist, reicht ein kurzer Blick zur ersten Beurteilung. "Das ist das Unterteil von einem Tongefäß, das ist sogar glasiert, grün. Könnte ein Salbgefäß sein, in dem wertvolle Essenzen wie Öl drin waren", staunt der Fachmann. "Das spricht wieder dafür, dass hier Leute lebten, die Geld hatten. Das messen wir auch ein", sagt er und geht zum wenige Meter entfernt stehenden Tachymeter. Mit diesem Messgerät für Geländeaufnahmen kann er zentimetergenau die Geodaten aller Funde von besonderer Bedeutung festhalten, ebenso jede neue Schicht der Ausgrabungsstelle. Dafür werden ein Maßstab, ein Nordpfeil und eine Fototafel mit den wichtigsten Angaben auf den Boden gelegt. Während sich in den oberen Schichten Relikte fanden, die Lau der früheren Neuzeit, dem 17. Jahrhundert, zuordnen konnte, ist die Gruppe mittlerweile beim späten Mittelalter des 14. und 15. Jahrhunderts angelangt. Sie entdeckten Zähne und Knochen tierischen Ursprungs sowie viele Metallteile, die sich nicht zuordnen lassen. Am Ende werden es mehr als 200 Einzelfunde sein, vom winzigen Nagelkopf bis zum Beinknochen eines Schafs. Vieles von dem, was die Ausgräber schon aus der Erde geholt haben, deutet zu diesem Zeitpunkt darauf hin, dass es aus einem Haus mit Feuerstelle stammen könnte, das vor einigen Jahrhunderten genau hier am Lindenbrink gestanden haben könnte. Zumindest war eine entsprechende Anomalie in der Kartierung bei einer geophysikalischen Untersuchung des Areals so interpretiert worden. So legten sie nicht nur Hufnägel, sondern auch ein Randstück eines Tongefäßes und einen vollständig erhaltenen, kleinen Schlüssel aus dem Mittelalter frei. Ebenfalls bemerkenswert: Das Team holte auch Millionen Jahre alte Fossilien aus dem Untergrund, "als hätten sie die im Mittelalter hier gesammelt", so Lau. Unter den Funden sind Donnerkeile, die zur fossilen Schale der sogenannten Belemniten, der urzeitlichen Tintenfische, gehören. Nach dem spirituellen Glauben im Mittelalter, erzählt der Archäologe, seien sie zum Schutz vor Blitzeinschlägen am Haus vergraben worden.. Auch Fragmente von Ammoniten, einer ausgestorbenen Teilgruppe der Kopffüßer, fanden die Helfer. "Das spricht dafür, dass sie als Kuriositäten gesammelt wurden", glaubt Lau. Auch die Größe und verschiedenen Schichtungen deuten auf ein spätmittelalterliches Haus hin. Letztlich könne es aber auch eine große Grube mit Abfall aus vergangenen Zeiten sein. "Was es wirklich ist, kann ich noch nicht sagen", zuckt Lau mit den Schultern. Tags darauf nach der Mittagspause die entscheidende Entdeckung, die zur Wendung führt: Die Gruppe gräbt in zwei Bereichen besonders tief. An der einen Stelle stellt sie fest, dass auch zwei Meter unter der heutigen Geländeoberkante der Boden von Menschenhand bewegt worden ist. An der anderen Stelle zeigt sich eine steile Grubenbegrenzung. Laus Interpretation: Es ist eine Baugrube für einen Brunnen; die für eine "Feuerstelle" gehaltene kreisrunde Anomalie in der Geophysik der eigentliche Brunnen, an dem das Team um einen Meter vorbeigegraben habe. Die Funde müssen aus der Zeit des Brunnenbaus stammen und wurden als Abfall in der offenen Grube entsorgt. Oder sie sind älter und befanden sich bereits im Boden, als dieser bewegt wurde. Der Experte schätzt daher, dass der Brunnen irgendwann im 15./16../17. Jahrhundert bestanden haben muss. Genaueres lasse sich erst sagen, wenn man ihn findet. Daher soll im kommenden Sommer erneut am Lindenbrink gebuddelt werden, dann etwas weiter südlich. Foto: jl
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Was uns Funde aus vergangenen Jahrhunderten alles verraten
Zu Besuch bei der Ausgrabung am Lindenbrink mit erstaunlichem Ausgang / Faszinierende Funde
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