1. Er war sein eigenes Lasttier. ...

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    Er war sein eigenes Lasttier. Die Gurte, mit denen er den Karren durch die Kleinstadt zog und nach und nach mit aufgesammeltem Müll füllte, hatte er sich um die Brust geschnallt. Müde war sein Schritt, die Haltung von schweren Arbeitstagen gebeugt. Sein blondes Haar war lang, die helle Haut durch die Sonne früh gealtert. Ich beobachtete ihn vor rund 25 Jahren auf meiner ersten Reise durch Brasilien, der neuen Heimat meiner Schwester. Er tat mir leid. Ich stellte mir vor, wie seine Vorfahren im vorletzten Jahrhundert als klassische Wirtschaftsflüchtlinge aus Europa aufgebrochen waren, um ein besseres Leben zu finden und der Armut und Hoffnungslosigkeit der Dörfer zuhause zu entrinnen. Nicht immer hatte das geklappt. Die bittere Armut, auf die ich in Brasilien immer wieder traf, erschreckte mich. Bitter arm war auch der Müllsammler. Aber mehr noch als über seine Armut erschrak ich an diesem Morgen über mich selbst. Über meinen Unwillen, den weißen, blonden Mann mit diesem Karren zu sehen. Über mein rassistisches Klischeebild, dass große Armut in Südamerika wie auch sonst auf der Welt eher dunkleren Hautfarben vorbehalten ist. Wäre ich genauso schockiert gewesen, wenn ein schwarzer Mann den Karren gezogen hätte? Ich habe diese Szene nie vergessen. Eine andere auch nicht. Ich stand im Supermarkt an der Kasse und kam mit dem Bezahlen nicht zurecht. Meine paar Brocken Portugiesisch halfen mir weder den Preis zu verstehen noch die passenden Scheine hinzulegen. Ich hielt den ganzen Laden auf. Trotzdem motzte keiner. Die Kassiererin ließ ein weißes Zahnpastalächeln in ihrem dunklen Gesicht aufblitzen, nahm mir das Portemonnaie aus der Hand und zählte das Geld passend ab. Ich war dankbar und fragte mich sofort, ob ich wohl im umgekehrten Fall an einer Kasse zuhause in Deutschland ebenso freundlich gewesen wäre...? Brasilien hat meinen Horizont erweitert, mein Denken, mein Herz. Armut ist leider tatsächlich oft an eine bestimmte Hautfarbe gebunden. Ein Skandal ist sie immer, denn Gott wünscht jedem seiner Menschenkinder ein Leben, das mehr ist als mühseliges Überleben. Über seinen Wert entscheiden nicht Farbpigmente, sondern die Güte, zu der wir alle von Gott berufen sind.

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