1. Zwischen Stornierungen und Optimismus

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    Eine Reisebüroleiterin verrät, wie sie die vergangenen Wochen erlebt hat und wie sie der Aufhebung der Reisewarnung entgegenblickt Rückzahlungen für Stornierungen von bereits gebuchten Urlauben und ausbleibende Neubuchungen: Die Corona-Krise hat auch die Reisebranche mit voller Wucht getroffen und insbesondere kleinere Reisebüros wie das von Angeleka Bartsch vor immense Herausforderungen gestellt. In einer Woche soll die Reisewarnung für 31 europäische Staaten aufgehoben werden. Mit welchen Gefühlen die Reiseverkehrskauffrau, die seit fast 23 Jahren das Reisebüro am Markt in Rodenberg betreibt, auf dieses Datum schaut, warum der Sommerurlaub dieses Jahr dennoch schwierig werden könnte und wie sie die vergangenen Wochen erlebt hat, verrät die 68-Jährige im Interview mit der SW-Mitarbeiterin Jana Grube. Wie viele Campingreisen hatten sie vor Corona im Programm und wie viele sind es jetzt? Bartsch: Camping wird auch jetzt nicht bei uns nachgefragt. Gut, einmal war einer hier, der gefragt hat, ob wir einen Ordner oder eine Liste mit Campingplätzen hätten. Haben wir aber gar nicht… das machen die Leute privat. Laut dem Deutschen Reiseverband führen zwei Drittel der mehr als 70 Millionen Reisen der Deutschen ins Ausland. Geht der Trend auch hier bei Ihnen dahin? Bartsch: Ja, doch, hauptsächlich sind es Flugreisen: Mittelmeerraum, Mittelstrecke, Fernstrecke. Was man privat macht, irgendeine Ferienwohnung in Deutschland, in man schon seit Jahren hinfährt - das läuft viel an uns vorbei. Das geht übers Internet. Die Krise trifft Sie also besonders hart… Bartsch: Ja, ganz extrem. Wie viel Stornos hatten Sie in der Zeit? Bartsch: Ich habe sie schon gar nicht mehr gezählt. Es waren die kompletten Osterferien mit drin. Das waren dann auch größere Buchungen. Im Mai waren es eher kleinere. Storno bleibt zwar Storno, es hielt sich da aber in Grenzen. Die haben dann schon eher umgebucht, auf Herbst oder nächstes Jahr. Es gab ja dann auch einen Treuebonus von den Veranstaltern für Umbuchungen. Den haben etliche auch genutzt. Und wie haben Sie die vergangenen Wochen persönlich erlebt? Bartsch: Schrecklich, wirklich schrecklich. Am Anfang ging es ja los, dass wir Kunden hatten, die in den Zielgebieten waren, die dann hier anriefen, dass sie festsitzen. Da hat sich dann der Veranstalter gekümmert, dass die nach Hause kamen. Aber manchmal dann statt nach Hannover nach Stuttgart oder weiß ich wohin, wo sie halt gerade Flüge frei hatten. Und dann gingen die ganzen Stornos für abgesagte Reisen los. Die mussten bearbeitet werden, dann musste man einen Antrag stellen, dass die Kunden ihr Geld zurückkriegen oder eben Gutscheine nehmen. Normalerweise haben wir sieben Mappen mit "Auf Reisen"- ich denke, dieses Jahr werden es dann mit Stornos die sieben Mappen sein und eine, die auf Reisen sind. Was war besonders nervenzehrend? Bartsch: Dass man die Veranstalter fast nicht erreicht hat. Die hatten die Telefonleitung zu 90 Prozent gekappt, waren also nur per E-Mail zu erreichen. Dann kriegte man eine Mail zurück: "Für weitere Fragen unter der Telefonnummer…" Da kam man aber nicht durch. Das hat dann halt schon genervt. Wie nehmen Sie die Stimmung bei den Kunden wahr: eher ängstlich oder entschlossen ins Ausland zu reisen, sobald sie wieder dürfen? Bartsch: Hälfte-Hälfte. Es gibt ganz viele, die sagen: "Wenn es geht, fliege ich wieder." Es gibt aber zum Beispiel auch die Leute mit einem Kleinkind - da würde ich es auch nicht machen. Und es gibt auch die, die sagen: "Ich bin selbst in Kurzarbeit, meine Frau kriegt wahrscheinlich die Kündigung, weil die Firma zumacht." Dass die sagen, sie wollen gar nicht, versteh ich auch. Das heißt, dass die stufenweisen Lockerungen der Bundesländer für Sie vermutlich noch kein Grund zum Aufatmen waren und sind, oder? Bartsch: Nein, eigentlich nicht. Das Problem ist ja, dass die Hotels an der See in Deutschland im Grunde genommen seit Ende letzten Jahres, Anfang dieses Jahres für die Sommersaison fast ausgebucht sind. Und was man buchen kann, kostet mit Frühstück so viel wie eine Flugreise mit All-in. Dieses Umbuchen auf Deutschland ist fast unmöglich. Ist denn aber von den Anfragen der Kunden her, der Wunsch da, hierzulande Urlaub zu machen statt ins Ausland zu gehen? Bartsch: Ja. Wir haben nachgeguckt und die dann aber den Kopf geschüttelt: Nicht zu dem Preis. Es ist halt wirklich nicht mehr viel da, aber das ist jedes Jahr so, gerade an der Nord- und Ostsee. Wo man noch was kriegt ist Bayern. Aber: Wer einen Badeurlaub machen will, fährt nicht in den Süden zum Wandern. Im Moment kann man nur abwarten. Die Tendenz geht dazu, dass wohl ab Juli irgendwann mal wieder Flieger gehen sollen - wenn es so ruhig bleibt. Und dann muss man mal gucken, wie sich das ganze entwickelt. Womit rechnen Sie? Bartsch: Ich denke, dass einige dann kommen werden und fliegen wollen, wenn sie damit einverstanden sind, dass es Beschränkungen vor Ort geben wird. Wir haben jetzt schon von mehreren Hotels gehört, dass sie das Buffet hinter Scheiben aufstellen wollen, wo dann einer steht, der einem das Essen auf den Teller legt. Was für uns das größte Problem ist: Wir arbeiten momentan umsonst. Wir müssen unsere Provisionen für die stornierten Reisen zurückzahlen. Das heißt, wenn Sie Pech haben, haben Sie im November oder Dezember, als die Kunden gebucht haben, fünf Stunden zugebracht. Jetzt haben wir noch Zeit investiert, um die Stornos abzuarbeiten - für nothing. Das ist ein Rattenschwanz, der sich vom Veranstalter über die Reisebüros bis zum Personal in den Hotels durchzieht. Wie haben Sie die Zeit überbrückt bekommen? Bartsch: Wir haben ein Einmalgeld von der NBank bekommen. Ich war im Homeoffice und für Mai hatte ich jetzt noch Kurzarbeit für meine Mitarbeiterin beantragt, aber sie kommt dann im Juni wieder. Wir müssen es ja auch abarbeiten, es hilft ja nichts. Die Arbeit bringt zwar nichts ein, aber sie ist da. Und es gibt ja auch die Kunden, die umgebucht haben. Gab es eine besonders kuriose Reiseanfrage, die Sie erlebt haben? Bartsch: Nein, das hielt sich alles im normalen Bereich, dass das gleiche Hotel für Herbst oder aufs nächste Jahr umgebucht wurde. Ich muss auch sagen, dass wir zu 90 Prozent sehr verständnisvolle Kunden hatten. Manchmal war ich richtig begeistert, dass die dann ankamen und sagten: "Alles gut, da können Sie ja auch nichts für. Och Mensch, Sie tun uns so leid im Moment." Dafür: Hut ab. Mit welchen Gefühlen schauen Sie auf den 15. Juni? Bartsch: Ich bin so ein optimistischer Mensch, dass ich denke: Irgendwie geht's weiter. Gut, ich habe auch meine schlaflosen Nächte hinter mir, gar kein Thema, dass man überlegt: Kannst du das und das und das noch bezahlen? Und als dann die erste Abbuchung kam von den Provisionen, die wir zurückzahlen mussten - haut schon rein. Aber: Ich hoffe einfach. Und es ist ja auch so, die Urlaubsländer, die wollen. Außerdem zeigen Tests mit Leuten im Flieger mit Maske und Lüftung: Die Lüftung pustet den Atem und alles nach unten und hinten an den Gängen sind Schlitze, wo das eingesogen wird. Das ist sicherer als jeder Bus, jeder Zug. Gut mit Maske, aber wir müssen so viel Maske aufhaben, da kann ich dann auch zwei oder vier Stunden länger mit leben. Haben Sie denn schon konkrete Anfragen für die Zeit danach? Bartsch: Das ist jetzt das Abwarten der Leute. Wir haben zum Beispiel schon eine dicke Buchung für Oktober gemacht, eine Fernreise. Wir müssen einfach schauen, was kommt. Das müssen alle. Text/Foto: jl

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