1. Angedacht

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    Kleider machen Leute? Sie kennen die Novelle von Gottfried Keller. Ein Schneider kommt trotz seiner Armut gut gekleidet in eine fremde Stadt. Dort wird er für einen polnischen Grafen gehalten. Der Schneider traut sich nicht dieses Missverständnis aufzuklären und will die Stadt schleunigst verlassen. Er verliebt sich bevor er weggehen kann in Nettchen, die Tochter des Amtsrates, und spielt die nun Rolle des Grafen weiter, wird entlarvt und flieht. Nettchen sucht und findet ihn, sie entdecken ihre wahre Liebe zueinander und werden ein Paar. In dieser Novelle stimmt es also, Kleider machen Leute. Wir neigen dazu Menschen schnell nach Äußerlichkeiten zu bewerten, orientieren uns an Kleidung und Frisur, dem allgemeinen äußeren Erscheinungsbild. Je nach eigener Sozialer Zugehörigkeit und Stilempfinden nehmen wir in den ersten Sekunden einer Begegnung eine interne Bewertung vor. Diese gefühlsmäßige Einschätzung erfolgt automatisch, bestimmt von unseren sehr persönlichen Prägungen und Erfahrungen. Jesus meint nun das wir damit dem anderen Menschen Unrecht tun und fordert uns auf aus dieser Gefühlswelt herauszutreten: "Richtet nicht nach dem was vor Augen ist sondern richtet gerecht. Johannes 7, 24" Das fällt uns nicht leicht, diese erste Bewertung zu korrigieren. Letztlich gelingt es meist nur durch Begegnung und Kontakt. Erst durch diese gemeinsamen Erfahrungen gelingt es uns die inneren Werte des anderen Menschen, zum Beispiel seine Liebenswürdigkeit und Klugheit zu sehen. Erst dadurch wird aus dem "Schlips-Heini" ein normaler umgänglicher Kollege und die schnodderig gekleidete Praktikantin wird trotz ihrer Piercings zur wertgeschätzten Mitarbeiterin. Sicher hat unsere erste äußere Wahrnehmung eine wichtige Steuerungs-und Schutzfunktion, lassen sie uns aber nicht bei Äußerlichkeiten verharren. Geben wir uns gegenseitig die Chance durch Gespräche und Begegnung unsere inneren Werte zu zeigen und gegenseitig zu entdecken. Wir sollten es letztlich so halten wie Seneca es formuliert hat: "Wer ein Pferd kaufen will und nicht das Pferd selbst, sondern nur Sattel und Zaumzeug betrachtet, ist ein Narr. Ein vollendeter Dummkopf aber ist, wer einen Menschen nach seiner Kleidung und äußeren Lebensstellung beurteilt, die ihn doch nur wie ein Gewand umgibt." Günter Hartung Diakonisches Werk der Ev.-Luth. Landeskirche Schaumburg-Lippe

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