1. "Verändern soziale Medien die Demokratie?"

    Das Mittagsgespräch im ausgebuchten Rathaussaal mit Prof. Dr. Werner J. Patzelt über die Kommunikationsgesellschaft

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    BÜCKEBURG (jh). Über Jahrzehnte funktionierte die Kommunikation von Politikern mit den Wählern im wesentlichen vermittelt durch die klassischen Medien, Presse und Rundfunk. Mit dem Aufkommen der neuen sozialen Medien wie Facebook oder Twitter hat sich das Verhalten vor allem der jungen Bürger gravierend geändert. Der Meinungsbildungsprozess ist im dynamischen Wandel. Prof. Dr. Werner J. Patzelt skizziert in seinem Vortrag genau diesen Wandel und seine Auswirkungen auf die politische Meinungsbildung. "An einem so voll belegten Saal, lässt sich ganz klar die Brisanz und die Aktualität dieses Themas erkennen", begrüßt Bundestangsabgeordneter Maik Beermann die 250 anwesenden Gäste zum Mittagsgespräch mit Prof. Dr. Patzelt. Er ist Gründungsprofessor des Dresdner Instituts für Politikwissenschaft und hat die Professur für Politische Systeme und Systemvergleich seit 1991 inne. Schwerpunkte seiner Lehr- und Forschungstätigkeit sind unter anderem die vergleichende Analyse politischer Systeme, die Parlamentarismusforschung, politische Kommunikation sowie die vergleichende historische Analyse politischer Institutionen. "Die sozialen Medien haben in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen", steigt der Professor ein. Eine Nachricht des amerikanischen Präsidenten Trump auf Twitter bestimme heute die tagespolitische Diskussion vieler Menschen. Es ist eine immense Beschleunigung der Kommunikation und des Alltags auf der Welt. Soziale Medien sind zu den "Türwächtern" oder "Schleusenwärtern" der öffentlichen Kommunikation geworden. "Vor vielen, vielen Jahren waren das die Menschen, die des Lesens und Schreibens mächtig waren. Später hatten die Journalisten diese Position inne. Die Tagesthemen und große Tageszeitungen bestimmten die öffentliche Diskussion und auch darüber, über welche Theman die Menschen gesprochen und nachgedacht haben. Die sozialen Medien haben nun die Journalisten von dieser Position entmachtet. Sie sind jetzt die Schleusenwärter", erklärt Prof. Patzelt. Dies habe einen Zerfall der politischen Öffentlichkeit zur Folge. Jeder kann und ist mit Blogs, Tweets und Posts heute sein eigener Schleusenwärter von Nachrichten. Im Internet sind Informationen und zum großen Teil auch Nachrichten von renomierten Medien frei verfügbar. "Diese Gratis-Mentalität hat eine weitere Zerstückelung der Öffentlichkeit zur Folge", so Prof. Dr. Patzelt. Das Internet verleite zu schnellem Lesen und Überfliegen von Nachrichten. "Größtenteils sind das dann Informationen nur aufgeschnappt. Sie werden nicht richtig verarbeitet. Die Illusion von Wissen entsteht." Die öffentliche Kommunikation hat eine eintscheidende Rolle für die Demokratie. Die Demokratie benötigt einen regen Austausch zwischen Repräsentanten und Repräsentierten. "Die Repräsentanten müssen genau wissen, was die Repräsentierten wollen. Es ist die zentrale Aufgabe der Repräsentanten, den Volkswillen zu verbessern bzw. zu veredeln", schildert Prof. Patzelt. Der geschärfte gesellschaftliche Sachverstand müsse dabei eingebracht werden. Es sei der Kern der Politik, zu erklären, was getan wird. "Als Zeitungen und Fernsehsender die einzigen waren, die Nachrichten verbreitet haben, war es relativ einfach, politische Kommunikation zu betreiben. Das ist heute nicht mehr so. Soziale Medien und das Internet im Allgemeinen sorgen für ein so breit gefächertes Informationsnetz, aus dem sich jeder seins aussuchen kann", verdeutlicht Patzelt. Aus der subjektiven Objektivität der Journalisten erwachse so eine Darstellung, die oft mit der öffentlichen Meinung nicht überein stimme. Die Medien haben in ihrer Aufgabe der kritischen Berichterstattung immer als Kontrolleure der Regierenden gedient, sie zwingen als vierte Gewalt die Politik zu ihrer Verantwortung. "Die Verantwortungsbeeinflussung über soziale Medien und das Internet ist bisher jedoch noch sehr diffus. Der Strukturwandel der Öffentlichkeit durch zoziale Medien verändert die Vorraussetzung der Politik, sie wird sogar dadurch beeinträchtigt", sagt Prof. Dr. Patzelt. Es entstünden sogannante "Echokammern", in denen man sich nur mit ähnlich Denkenden vernetzt. "In Filterblasen bekommen die Menschen häufig nur noch die Informationen und Dinge zu sehen, nach denen sie bereits gesucht hatten. Hier greift das Stichwort "Google-Algorhytmen" ganz umfassend", meint der Professor. Insgesamt verändern die sozialen Medien ganz wesentlich das Politikmachen. Schnelles Handeln ist von den Politikern in Zeiten der sozialen Medien immer gefordert. Zeit für langes Nachdenken wird ihnen oft nicht gelassen. "Wir sind durch das Internet eine sehr schmutzige Kommunikationsgesellschaft geworden. Dabei könnte gerade das Internet und die sozialen Medien ein so schönes Instrument pluralistischer Demokratie sein", schließt Prof. Dr. Patzelt seinen Vortrag.Foto: jh

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