1. "Es gibt keine bösen Hunderassen"

    Im Landkreis lebt etwas mehr ein Dutzend gefährlich eingestufter Hunde / Tierschützer sehen Lücken im Hundegesetz

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    LANDKREIS (jl). Der zweijährige Huskymischling Snowflake hat überhaupt kein Problem mit Menschen. Sehr wohl aber mit anderen Tieren. Er zählt zu den sogenannten "gefährlichen Hunden". Zwei Wörter, die wegen der jüngsten Beißattacken präsenter sind denn je. Seit 2003, seitdem es in Niedersachsen ein Hundegesetz gibt, hat das Veterinäramt des Landkreises 35 Vierbeiner als gefährlich einstufen müssen, erklärt Amtstierarzt Ulf Güber. Allerdings: Gut die Hälfte davon lebe heute schon nicht mehr. Nicht gelistet seien die Tiere, die direkt nach einer Erstbeurteilung - noch bevor die Behörde die Gefährlichkeit formal feststellt - eingeschläfert werden, weil sie "psychisch krank" seien, wie es Güber formuliert, seit gut 25 Jahren für das Veterinäramt tätig. 1500 Fälle hat er in dieser Zeit beurteilt. Zwischen Sozialisierung und Tierleid Der Trend zum Schutzhund hat gefährliche Folgen "Einmal gefährlich, immer gefährlich" Lücken in der Gesetzgebung schließen Snowflake lebt seit vergangenem Dezember in der Tierauffangstation in Bad Nenndorf. Für sie bestehe im Gegensatz zu Chico, dem Rüden, der in Hannover zwei Menschen totgebissen hat, die Chance, dass sich ihr jemand annimmt, sagt Jutta Schneider, Vorsitzende des Tierschutzvereins Rodenberg und Bad Nenndorf. Für die vor allem medial und mitunter militant geführte Debatte um das Weiterleben des Staffordshire Terriers hat sie nur wenig Verständnis. "Die meisten Leute, die den Lauten gemacht haben, sehen nicht, wie schwierig es ist, solche Tiere zu sozialisieren, sofern das überhaupt noch geht", ärgert sich Schneider. Die Belastung für das oft ohnehin schon an der Kapazitätsgrenze agierende Tierheimpersonal, zum Beispiel nur mit Schieber, Maulkorb und anderen Hilfsmitteln arbeiten zu können, sei das seine. Das andere sei die weiter leidende Psyche der Tiere, wenn sie ihr Dasein im Zwinger fristen müssen und vereinsamen. Bei Chico hätte es gar keine Diskussion geben dürfen, findet Schneider. "Man muss das Gesamtpaket sehen und den Fachleuten die realitätsbezogene Entscheidung zum Wohle des Tieres überlassen." Um überhaupt Erfolgschancen zu haben, bräuchten diese Tiere im Grunde eine spezielle Einrichtung, in denen sie separat untergebracht werden und Hundetrainer intensiv mit ihnen arbeiten können, sagt Astrid Galka, Tierärztin und Hundetrainerin, mit der der Bad Nenndorfer Tierschutz kooperiert. Dafür bräuchte es aber - bisher nicht vorhandenes - Fachpersonal und Geld. "Wir haben in Schaumburg im Schnitt pro Jahr drei verletzte Menschen durch Hunde", bilanziert Amtstierarzt Güber. Räumliche und rassetypische Auffälligkeiten ließen sich dabei nicht ausmachen. "Meiner Erfahrung nach gibt es keine bösen Rassen", so Güber. Deswegen hält er ebenso wie Galka Rasselisten für nicht zielführend. Was aber auffällt: Allein im vergangenen Jahr musste das Veterinäramt 17 "gefährliche Hunde" mit Auflagen belegen - so viele wie insgesamt in den 14 Jahren zuvor. Güber sieht einen Zusammenhang mit dem gesunkenen Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung. In der Folge habe sich ein Trend zum Schutzhund entwickelt -"mit dem muss man aber auch umgehen können", so der Amtstierarzt. Denn wenn diese Tiere zu lange unbeschäftigt allein bleiben, könne ein Schutztriebstau entstehen. Heißt: Sie langweilen sich, sind nicht ausgelastet, bekommen "schlechte Laune" und lassen sich womöglich nicht mehr unterordnen. "Hunde, die schlecht gehalten werden, neigen auch dazu, aus Frust psychisch umzukippen und aggressiv zu werden", ergänzt der Veterinär. Aber auch wenn der Besitzer psychisch oder körperlich beeinträchtigt ist, seien Probleme vorprogrammiert. "Der Hund ist ein Checker", verdeutlicht Güber, "wenn die Leute gut sortiert sind, gehorchen die Hunde, wenn die Leute eine psychische Tiefphase haben, dann merkt das der Hund und wird frech". Neben Snowflake beherbergt die Bad Nenndorfer Tierauffangstation derzeit noch zwei weitere als gefährlich eingestufte Hunde, einen Schäferhund und einen Akita-Inu. Die unüberlegte Tieranschaffung ist ein Problem, das auch Schneider und Galka sehen. Hinzukomme die Tatsache, so Letztere: "Einmal gefährlicher Hund, immer gefährlicher Hund." Denn mit der Einstufung gilt eine erhöhte Hundesteuer. Im Gegensatz zum Maulkorb- und Leinenzwang könne diese mit einem erfolgreichen Wesenstest nicht aufgehoben werden. Jährliche Abgaben von mitunter 700 Euro würden potenziell geeignete neue Halter jedoch abschrecken, weiß Galka aus Erfahrung. Auch mit Blick auf teurere Haftpflichtversicherungssummen wünscht sie sich eine Aufhebung der Auflagen in Gänze nach entsprechender Eignungsprüfung. Dazu müsse es aber erst gar nicht kommen. Ginge es nach Schneider und Galka, wäre der sogenannte Hundeführerschein ab einer gewissen Größe bei jeder Hundeanschaffung erforderlich - und zwar mit dem jeweiligen Tier. Nur weil jemand jahrelang einen kleinen Yorkshire Terrier hatte, befähige ihn das noch lange nicht, eine Dogge mit 75 Kilogramm halten zu können, betont die Hundetrainerin. Bisher reicht ein einmaliger Sachkundenachweis, den der Prüfling auch mit einem fremden Vierbeiner erbringen kann. Wer in den zehn Jahren vor der Einführung 2011 mindestens zwei Jahre am Stück einen Hund gehalten hat, ist von vornherein befreit. Gesetzeslücken, die nach Ansicht der beiden Tierschützerinnen dringend geschlossen werden müssten. Foto: jl

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