OBERNKIRCHEN (wa). Wenn Hanne Piel in diesen Tagen noch einmal ein Abschlusszeugnis in den Händen halten würde, dann gäbe es darin Sätze zu lesen wie: "Ihr großes Engagement wurde von vielen Kollegen und Schülern hoch geschätzt" oder "Sie verfügt über ein enormes Potenzial an sozialen Kompetenzen". Da ihr "Schulabschluss" nun 41 Jahre lang andauerte, gab es aber kein Zeugnis sondern Pizza – fürs Kollegium. In einem feierlichen Rahmen wurde die 63-Jährige, einen Tag vor Beginn des neuen Schuljahres 2017/2018, von ihren Kollegen im Schulforum gebührend verabschiedet.
Die Frage, was sie nach all den Jahren am meisten vermissen wird, lässt der Wahl-Mindenerin sofort Tränen in die Augen schießen: "Die Menschen", antwortet Hanne Piel. Und genau die sind es auch, die sie dazu befähigt haben, 41 Jahre lang im Schulzentrum in Obernkirchen zu arbeiten. Eine ehemalige Schülerin hat es auf den Punkt gebracht: "Frau Piel, mit Ihnen waren wir keine Schulklasse, sondern wie eine Familie." Nicht nur auf den Lernstoff bedacht, hat sich Hanne Piel vor allem im Bereich Gewaltprävention und Soziales Lernen engagiert. Die Schüler sollen sich in ihrer Schule wohlfühlen - ihre Klassenräume selbst gestalten dürfen, das war ihr wichtig. Jeden Monat sorgte sie für eine Klassenaktion: zum Beispiel gemeinsam frühstücken oder ins Kino gehen. Fernab von Lehrinhalten bewies Piel damit, dass es in erster Linie nicht auf die Noten, sondern vor allem auf die sozialen Fähigkeiten des Menschen ankommt: Gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung sowie Zusammenhalt, motivieren die Schüler und spornen sie an, auch im Unterricht ihre individuelle Leistung effektiv erzielen zu können. Gelehrt hat Piel Deutsch, Englisch, Biologie und Religion. Zudem war sie für die Ausbildung der Streitschlichter, 7. / 8. Klassen, zuständig. Das nicht genug, leitete sie zusätzlich Theater-AGs. Sie unterrichtete Schüler von der 5. bis zur 10. Klasse. Diese unterschiedlichen Entwicklungsstufen haben sie stets herausgefordert. Vor allem die Pubertät braucht viel Humor: "Da bin ich schlagfertig. Bemerkungen kann ich ganz einfach zurückgeben und brauche mich nicht aufregen." Schlagfertigkeit habe sie "bitter gelernt" - aufgrund ihrer guten Noten sei sie in der eigenen Schulzeit gemobbt worden. Humor und Kreativität halfen ihr damals: "Ich habe gemerkt, es hat keinen Sinn wenn ich heule", erzählt Piel. So lebt sie nach den Grundsätzen: Jeder Fehler macht barmherzig und jeder Mensch hat das Recht auf einen Neustart, denn jeder möchte geliebt und gesehen werden. "Ich habe immer viel selbst geregelt und wenn ich etwas ändern wollte, habe ich den Finger drauf gelegt", erzählt Piel. Ihr beruflicher Werdegang begann in Hannover im Studium. Damals gab es mehr Lehrer als Stellen und sie nahm was sie kriegen konnte, und das war das Schulzentrum in Obernkirchen. In der Bergstadt angekommen sei Piel ins kalte Wasser geworfen worden – 19 Stunden im Angestelltenverhältnis. Referendariate gab es da noch nicht. Auch gab es Zeiten, da hätte sie am liebsten alles hingeschmissen – aufgrund von Bedingungen der Landesschulbehörde. "Wir leben da in einem Kontrollsystem, es geht um Geld, nicht um die Kinder", sagt Piel. Gerade die Forderung nach Inklusion sei ohne die notwendige Anzahl an Lehrkräften gar nicht umsetzbar. "Man arbeitet da gegen Windmühlen." Was die Schulen ihrer Meinung nach bräuchten, wären kleine Klassen und eine Doppelbesetzung aus Fach- und Förderschullehrer. Nun aber verabschiedet sich Hanne Piel, denn sie "wollte gehen, wenn es noch Spaß macht". Diese Zeit ist gekommen. Na und jetzt? "Jetzt mache ich erst mal nix", sagt sie und lächelt. So ganz stimmt das aber nicht: An der IGS wird sie weiterhin systemische Beratungen durchführen. Foto: wa