STADTHAGEN (gr). Am Mittwoch hat sich das Schaumburger Netzwerk für Beratung und Interventtion getroffen. Auch Landrat Jörg Farr war anwesend und begrüßte alle Anwesenden und wies auf die Aktualität des Vortrags hin. Schließlich leiden 97 Prozent aller Flüchtlinge, die aus Kriegsregionen stammen, an Traumata. Er überließ das Rednerpult relativ schnell der neuen BISS-Leiterin, Janina Schmidt, die nach ihren ersten Monaten in der Beratungsstelle in Resümee zog. Sie bringt eine vierjährige Erfahrung aus dem Frauenhaus Schaumburg mit und jede Menge persönliche Kompetenz, die in ihrem Beruf eine ganze Menge ausmacht. Zudem hat sie eine Fortbildung besucht und geht bald auf eine weitere, damit auch die fachlichen Kompetenzen in ihrem neuen Beruf stimmen. Es gibt eine Menge Handwerkszeug, was sie jederzeit brauchen kann. Ihren besonderen Fokus bei der Beratung bei häuslicher Gewalt legt sie auf die Kinder. Das hat Gründe: In den bisherigen bearbeiteten Vorgängen in diesem Jahr sind in 210 Vorgängen 195 minderjährige Kinder in einen Fall von häuslicher Gewalt involviert. 2013 waren es noch 134. Die Zahl nahm über die Jahre beständig zu. Häusliche Gewalt kann auch zu Traumata führen, weshalb diesem Treffen der Facharzt Marco Wrenger beiwohnen sollte. Er ist Leitender Arzt der Abteilung Psychsomatik und Psychotherapie der Burghof-Klinik Rinteln. Einleitend spricht er über die Definition eines Traumas. Als schwammig wird Folgendes bezeichnet: "Ein Trauma entsteht durch ein belastendes Ereignis außergewöhnlicher Bedrohung und katastrophalen Ausmaßes, die fast bei jedem eine tiefe Verzweifelung hervorrufen würden." Diese Definition stammt von der ICD-10. Das ist allerdings zu grob und weitläufig gefasst. Entscheidend für ein Trauma ist das Erleben von Angst, Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein oder Entsetzen und die subjektive Wahrnehmung dieser Gefühle. "Die objektive Schwere eines Ereignisses ist für ein Trauma niemals ausschlaggebend", sagt Wrenger. Wichtig ist die Konstellation der Gesamtsituation für jede einzelne Person. Ein äußerer Einfluss ist für diese Erkrankung unabdingbar und kann unter anderem die Persönlichkeitsentwicklung eines Menschen massiv verändern. Gerade Kinder, die zum Beispiel Opfer oder Zeuge einer Gewalttat werden, können sich im Verhalten stark verändern und entwickeln sich gänzlich anders als ohne dieses Erlebnis. Interessanterweise verläuft ein Trauma bei jeder Person anders. Gerade die ältere Generation, die noch das Ende des 2. Weltkrieges erlebt hat, können an einem Trauma leiden. Als Beispiel nennt der Experte Senioren, die jahrelang ohne Probleme gelebt haben und durch ein Fernsehbild beispielsweise auf einmal an den Krieg erinnert werden und plötzlich alles wieder hochkommt. Die Erinnerung inklusiver aller Gefühle aus der Zeit erschlagen das Gehirn geradezu, weil es nicht alles verarbeiten kann. Man spricht in diesem Fall von einer zeitlichen Latenz. Man kann zudem multiple Traumata erleiden. "Es kann Zugführer geben, die haben sieben Suizidanten erfasst und können ohne Probleme damit umgehen. Dann kommt plötzlich der achte und das wirft ihn vollkommen aus der Bahn", erklärt Wrenger dieses Phänomen. Wie dieses Phänomen zustande kommt, ist unklar. Ein schlimmes Ereignis wie in Unfall, eine Vergewaltigung oder ein Fall von häuslicher Gewalt kann bei einer Überforderung des Gehirns zu basalen psychischer Abwehr- und Bewältigungsmechanismen führen. Es ist die Dissoziation, in der das Gehirn eine Abspaltung dessen vornimmt, was es nicht verarbeiten kann. Das Bwusstsein, Gedächtnis, Identitätserleben und Wahrnehmen der Umwelt wird manchmal zum Schutz des Menschen unterbrochen. Das ist gut, solange sich die Dissoziation irgendwann wieder löst und die Erinnerung von der Gefühlswelt losgelöst ist. Lockert sich die Dissozition nicht, schlummert das ausgekoppelte Ereignis noch im Unterbewusstsein und kann durch irgendein Ereignis alles wieder hochkommen lassen. Die Erinnerung inklusive der Gefühle kommen dann vollkommend unerwartet und unverarbeitet über das menschliche Gehirn und kann es nachhaltig schädigen. Foto: gr
-
Dr. Marco Wrenger referiert zur "Traumatherapie"
Arbeitstreffen vom "Runden Tisch" der BISS / Dissoziationen sind manchmal gut für das menschliche Gehirn
Dieser Eintrag wird bereitgestellt durch Schaumburger Wochenblatt | Impressum
