1. "Demokratien sind auf dem Rückzug"

    Diskussion um Staat, Kirche und die Verantwortung aller / Das KlosterKlangFestival widmet sich der Reformation

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    LOCCUM (jan). 500 Jahre Reformation stehen im Mittelpunkt des vierwöchigen "KlosterKlangFestivals" in Loccum. Einen Abend hat das Kloster dabei der Schrift Luthers "Von weltlicher Obrigkeit, wieweit man ihr Gehorsam schuldig ist" gewidmet – und den Bogen in die heutige Zeit geschlagen.

    Die Riege derer, die dort im Refektorium auf niedrigem Podest nebeneinander saßen, um sich über Staat, Kirche und schuldigen Gehorsam zu unterhalten, ist von einiger Schlagkraft gewesen: Hannovers Landesbischof Ralf Meister und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil haben sich ebenso auf das Gespräch eingelassen wie der Sozialpsychologe Harald Welzer, der schon einmal zu den 100 wichtigsten Vordenkern weltweit gezählt wurde. Die Frage nach Luthers Schrift, mit der Moderator Roger Cericius, Vorsitzender des Freundeskreises Hannover, einstieg, und die seinerzeit eine Reaktion auf das Verbot eines Fürsten an sein Volk war, Luthers Übersetzung des Neues Testaments zu lesen, war indes schnell passé. Zu sehr unterscheide sich die damalige Gesellschaft von der heutigen, waren sich die Gesprächspartner einig. Und warben stattdessen allesamt flammend für die Demokratie und dafür, dass sie alle Bürger nicht nur etwas angeht, sondern alle gestaltend daran mitwirken sollten. "Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten vergessen, dass der Staat etwas ist, was wir alle gestalten", meinte Welzer und Weil ergänzte, dass es schließlich nicht umsonst "Volksvertreter" heiße. Daraus dürfe allerdings nicht geschlossen werden, dass Politik blanker Opportunismus sei, meinte Weil. Dass Gemeinsinn und Vernunft im Handeln der Politiker eine Rolle spielten, sei aber leider nicht in der öffentlichen Wahrnehmung verankert, beklagte er. Der Vernunft und der Fürsorge für die Bürger im politischen Handeln stimmte Welzer hingegen nur bedingt zu: "Ich halte das, was die CSU seit einem Jahr tut, für alles andere als vernünftig." Cericius Einwurf, dass auch Luther das, was Seehofer derzeit veranstalte, nicht eben toll gefunden hätte, konterte Weil damit, dass der Reformator nicht eben zurückhaltend gewesen sei, was Äußerungen zu Bauern und Juden anging. Meister führte daraufhin Luthers Obrigkeitshörigkeit ins Feld – der hätte es dem Ministerpräsidenten sicherlich nicht zugestanden, der Bundeskanzlerin gegen zu reden. Viel war von der Verteidigung der Demokratie zu hören an diesem Abend – was einen Angriff implizierte. "Ich finde dieses Land, diese Gesellschaft und dieses Grundgesetz gut", sagte Welzer und genau das müsse von vielen genau zu diesem Zeitpunkt wieder laut gesagt werden. Demokratien seien auf dem Rückzug, fügte er mit Blick auf Polen, Ungarn und die Türkei hinzu. Die Chance nicht zu verpassen in dem Augenblick für sie einzutreten, wo sie noch nicht in direkter Gefahr sei, sei wichtig. An Weil appellierte er: "Ihr müsst diesen Punkt stark machen: dass das eine extrem gute Gesellschaft ist." Dem Rat von Welzer an ihn als Politiker stellte Weil die Verpflichtung des Volkes gegenüber, sich für die Demokratie stark zu machen, laut zu sagen, dass es sich lohnt dafür einzutreten und sich auch selbst einzubringen. Geradliniges Verhalten der Politiker forderte er ein – das könne Vertrauen schaffen. Das System des Staates besser darzustellen, weil viele Menschen Politik gar nicht verstünden, sei eine weitere Aufgabe. Fühle das Volk sich nicht verantwortlich, könne es übel ausgehen. Die Rolle der Kirche in diesem Verhältnis sieht Meister hingegen eher zurückhaltend. Die Aufgabe der Gewissensbildung komme ihr zu – Staat und Kirche seien aber auch deutlich voneinander getrennt und das sei gut so. Foto: jan

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