STEINHUDE (mk). Wenn die Temperaturen unter Null Grad fallen, dann hofft eine Gruppe ganz besonderer Menschen darauf, dass es noch ein wenig kälter wird und vor allem auch bleibt. Und möglichst ohne Wind und Wellen. Denn nur so frieren die großen Seen wie das Steinhuder Meer zu und es bildet sich eine spiegelglatte Eisfläche. Nun ist ihre Zeit gekommen: Die Eissegler holen ihre DN-Eisschlitten aus Garage, Keller oder Schuppen und feilen ihre Kufen. Die verlängerte Seifenkiste, wie der kompakte Schlitten liebevoll genannt wird, passt auf den Gepäckträger des eigenen Autos und schon kann es losgehen. Dick eingepackt in Thermoanzüge, Mütze und Handschuhe stehen sie auf dem Eis und präparieren ihre Eissegler. Dann erfolgt der Griff zu Pinne und Schot und in einem 25 Grad Winkel gegen den Wind wird der Segler nach Back- oder Steuerbord angeschoben. Nach einem kurzen Sprint erfolgt der beherzte Sprung ins Cockpit und sofort nimmt der Eissegler Fahrt auf. Der Wind bläht das Segel und die drei Kufen gleiten mühelos über das Eis – immer schneller und schneller. Bis zu 130 Stundenkilometer können die normalen Regattaschlitten erreichen – der Rekord liegt bei 238 Stundenkilometer, aufgestellt von einem Amerikaner. Bei diesem Tempo verschwimmen die Konturen. "Man scheint fast schwerelos über das blanke Eis zu fliegen, Adrenalin schießt durch die Adern und der Rausch der Geschwindigkeit lässt den beißenden Frost vergessen", schwärmt Emke Hillrichs, der seit vielen Jahren diesem besonderen Sport frönt, wenn möglich auf dem Steinhuder Meer. Auch seine Vereinskollegen der Eisseglergemeinschaft Steinhuder Meer e.V. hoffen auf knackig kaltes Wetter. In diesem Jahr gibt es für sie zudem etwas zu feiern. Die Eisseglergemeinschaft feiert ihren 50. Geburtstag. Gemeinsam wird dies am Sonnabend, dem 13. August, mit einer zünftigen Party gefeiert.
Begonnen hat alles am 10. Dezember 1963, als 19 Eissegler einen losen Zusammenschluss bildeten, ohne Eintragung ins Vereinsregister. Nur fünf Tage später wurde bereits die erste Vereinsregatta ausgetragen. Immer mehr Mitglieder fanden den Weg zur EStM, so dass am 26. März 1966 alle 60 Mitglieder die offizielle Eintragung als Verein beschlossen. Um die Sicherheit der Sportler zu gewähren, hat die EStM 1972 einen Hydrocopter angeschafft, dieses Fahrzeug kann sowohl auf Wasser- als auch auf Eisflächen eingesetzt werden. Lange Leitern, ein Surfbrett sowie Rettungs-Wurfleinen gehören ebenfalls zur Ausrüstung. Ein Eissegler geht niemals alleine auf Tour und erst ab einer Eisdicke von zehn Zentimetern. Spikes an den Schuhen, ein Eispicker, eine Rettungs-Wurfleine, Schwimmoverall oder –weste sowie der Schutzhelm gehören zur Standardausrüstung. Als "ein Meererlebnis der Sonderklasse" beschreibt der 1. Vorsitzende Rudi Plenk die Faszination des Eissegelns, der die Menschen seit dem 17. Jahrhundert erliegen. In den Niederlanden nahm alles seinen Lauf. Hier nutzten die Fischer ihre mit Kufen versehenen Kähne, um auch im Winter auf das Eis zu gelangen und dort zu fischen. Nach und nach entwickelte sich daraus ein Sport, der sich schnell nach Ostpreußen und ins Baltikum sowie nach Skandinavien und Finnland ausbreitete. In Estland wurde 1928 dann die Europäische Eissegel Union (EEU) gegründet. Initiator Erik von Holst entwarf vier Jahre später dann auch die XVer Eisyacht mit 15 Quadratmetern Segelfläche als Einheitsklasse. 1937 kam der "Volkssegler" mit 12 Quadratmetern Segelfläche und schließlich eroberte der DN-Schlitten mit sechs Quadratmetern die Herzen der Eissegler. Auf dem Steinhuder Meer ging es nach dem zweiten Weltkrieg so richtig los, so dass es schließlich zur Gründung der EStM kam. Und sobald das Steinhuder Meer anfängt zu gefrieren, wird jeden Tag genau geprüft, ob die Eindecke schon tragfähig ist. Und dann geht es für die heimischen Eissegler hinaus – egal wie kalt und windig es ist. Denn das Vergnügen ist kurz und will voll ausgekostet werden. Foto: privat