Detmold (vfc). Der mittlerweile über 80-jährige Arnulf Rainer sorgt mit seiner Technik der Übermalung immer wieder für Streitigkeiten in der Kunstszene. Scheinbar ohne Respekt vor dem Kunstwerk übermalt er Fotos von sich, nackten Frauen, dem zerstörten Hiroshima, Künstlerköpfen wie Picasso, Goya oder van Gogh, Reproduktionen berühmter Gemälde der Kunstgeschichte, Seiten aus Wissenschaftsbüchern und immer wieder Christusbilder und Kreuze. Was für die einen Kunst und Malerhandwerk, ist für die anderen Marktstrategie und bloßer Zerstörungswille. Ein Unfriede ist darüber entbrannt, der Arnulf Rainer über die Jahrzehnte zu einem einflussreichen und dabei umstrittenen Künstler der Nachkriegsgeneration werden ließ. Die Lippische Gesellschaft für Kunst (LGfK) zeigt derzeit im Detmolder Schloss Werke einen weitgefächerten Einblick in Rainers Übermalungs-Fundus.
Arnulf Rainer ist verbesserungswütig. Immer wieder arbeitet er an der Vervollkommnung der Kunst, ganz gleich ob seine eigene oder fremde. Dabei verwendet er eine Motiv-Vorlage, der er mit expressiven Pinsel- oder Kreidestrichen auf den Kunstleib rückt. Er vertuscht dabei nicht, er übermalt. Er interpretiert, bestätigt, erweitert, schafft neu oder verbessert. In der Kunsttheorie gibt es dafür den Begriff des "Pentimento" (ital. für Reue), nachträgliche Korrekturen oder Übermalungen zur Verbesserung. Ganz entgegen der Arbeit des Restaurators, der mit seinen Übermalungen Bildschäden abdeckt oder fehlende Passagen ergänzt. Vielleicht bedeutet Rainers Technik auch eine Erleichterung für den produzierenden Künstler: Nichts ist einschüchternder als ein blütenreines, unbeschriebenes und – mit Günter Grass gesprochen –"jungfräulich weißes" Blatt Papier oder Leinwand. Alles in allem schafft Rainer mit seinen Übermalungen auf der Basis des Alten eine neue Bildrealität. Neudeutsch könnte man diese Masche auch "Upcycling" nennen. Dabei sei die Übermalung, wie Rainer selbst sagt, ein stetiger Kampf und Krampf um seine Bilder. "Ich kenne den Kampf, wenn ich selber male. Eine Stelle ist gut gelungen, die andere nicht. Man beginnt dann zu übermalen, zu verbessern," weiß Karin Strate über ihr stetiges Ausfechten im Entstehungsprozess eines Bilder zu berichten. Für das langjährige Beiratsmitglied war es eine Herzensangelegenheit eine Ausstellung mit Werken Arnulf Rainers für die LGfK umzusetzen. Unterstützerinnen fand sie in Almut Schmersahl, Vorsitzende der LGfK, und der Ehrenvorsitzenden des Kunstvereins Dr. Traute Prinzessin zur Lippe. "Wir dachten, dass wir keine Werke eines so hoch gehandelten Künstlers wie Arnulf Rainer für unseren Kunstverein bekämen. Aber über einen privaten Sammler war es möglich", so Schmersahl. Der Sammler möchte ungenannt bleiben, auch aus Sicherheitsgründen. Fünfzehn Werke aus seinem Besitz hat er für den Ausstellungsraum der LGfK in der ehemaligen Schlossküche zur Verfügung gestellt. Sie scheinen wie für den Raum gemacht. Stellen dabei aber auch zugleich hohe Anforderungen an Licht und Klima, die Raum und Aussteller an die Grenzen der Machbarkeit bringen. Die Ausstellung ist dem langjährigen und im August 2015 verstorbenen Ehrenvorsitzenden Dr. Armin Prinz zur Lippe gewidmet. Über 40 Jahre hat er den Kunstverein intensiv begleitet. Das Vermächtnis des Vaters beabsichtigt die nächste Generation weiterzuführen, wie sein Sohn Prinz Stephan zur Lippe in seiner Ansprache zur Ausstellungseröffnung anmerkte. Zur gut besuchten Eröffnung steuerte das in Detmold ansässige "ensemble horizonte" seine musikalische Sicht auf die Übermalungskunst bei. Der ehemalige Direktor des Städelmuseums in Frankfurt, Klaus Gallwitz, hielt den Einführungsvortrag. Gallwitz ist ein langjähriger Freund Prinz Armins und Prinzessin Trautes zur Lippe. Mit dieser Ausstellung ist es der LGfK gelungen, das gesamte Spektrum der Rainerschen Übermalungskunst zu zeigen: religiöse Motive, Floristik, Akte – Werke zwischen 1977 und 1991. Da sind einerseits die übermalten botanischen Abbildungen aus Büchern des 18. und 19. Jahrhunderts, die Rainer in den 90er Jahren anfertigte. Andererseits Akt- und Grimassenfotos der 60er Jahre, die Rainer entweder im Fotoautomaten oder durch einen Fotografen herstellen ließ und dann wiederum übermalte. Ab 1955 tauchen in Rainers Œuvre dann erstmals die berühmt-berüchtigten Kreuzübermalungen auf: seine Auseinandersetzung mit Religion. Düster, ja bedrohlich muten seine Kreuze an. Eine energetische Aufladung der religiösen Symbolik, ein Abarbeiten an ihr mit aller Kraft – bis rote Farbe, wie Blut, mit Händen impulsiv aufgetragen, über das Kreuz fließt. Hier zeigt sich Destruktion, Leid und Tod. In der äußerst klugen Hängung der Werke im Ausstellungsraum korrespondieren die Kreuze mit Akt- und Grimassenfotos und verbinden sich zu einem Diskurs über Theologie. Der nüchterne Kunstraum erhält damit eine fast sakrale Atmosphäre. Der Dialog zwischen Bild und Raum, zwischen Farbe und Zeichen, zwischen dem Kreuz und der Spiritualität setzt hierbei vielfältige Assoziationen frei. "Ich empfand Rainers Übermalungen zunächst als Skandal", äußert Prinzessin Traute. Aber die Bilder nähmen sie gefangen. Es seien die neuen Bildinhalte, die Rainer durch seine Übermalungen kreiere, die sie faszinierten. Wie die realistische Abbildung einer Frau im geöffneten Sarg, die Rainer mit feuerroten Farbstrichen übermalt. "Referiert er damit auf das Fegefeuer, die Auferstehung oder die Feuerbestattung?" Da ist alles denkbar und gerade das mache es so spannend, erläutert Prinzessin Traute.