1. Sag’, Bächlein, liebt sie mich?

    Daniel Behle singt Schuberts Liederzyklus "Die schöne Müllerin"

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    Detmold (kh). Beginnen wir am Ende. Dort, wo alles den Bach hinuntergegangen ist. Tod durch Ertrinken. Der Müllerbursche treibt im Wasser, Jagdhornquinten tönen. Und der Bach singt dazu ein Wiegenlied. Dabei war am Anfang doch alles so schön. So voller Lebensfreude und Energie. Vor Selbstvertrauen strotzend. Einfach fabelhaft. Oder doch nicht? Schmetterlinge im Bauch. Und dann – Bachwasser. Aber überraschend kommt das Ende nicht. Nicht, wenn man schon zu Beginn genau hinhört. Sich nicht von den heiter-arglos dahinplätschernden Tönen einlullen lässt. Anzeichen sind hörbar. Bereits in den Anfang ist das Ende komponiert. Denn Schubert hat alles ganz genau notiert in seiner "Schönen Müllerin". Seinem ersten großen Liederzyklus, einer lyrischen Momentaufnahme voller Symbole und Verweise, deren Inhalt ohne Frage romantisch, aus heutiger Sicht geradezu trivial, aber in jedem Fall ein Selbstgespräch ist, das in den Tod führt.

    "O Wandern, Wandern, 
meine Lust" Ein einfacher Müllergeselle kommt auf seiner Wanderung an eine Mühle und verliebt sich in die Müllerstochter. So weit, so gut. Doch die Idylle ist vordergründig. Denn Tristesse und Frust wandern mit. Bereits im eröffnenden "Das Wandern ist des Müllers Lust", das mit dem fröhlichen Schreiten in der Klavierbegleitung so harmlos daherzukommen scheint, marschiert der Tod mit. Will doch der eigenwillige Zweivierteltakt dieses Entrees nicht so recht zum frohgemuten Ausschreiten geeignet sein. Und wenn der verzweifelt Liebende im zweiten Lied "hinunter und immer weiter" muss, tun sich bereits Abgründe auf. Das Wandern des jungen Mannes entlang des Baches zieht sich als Leitmotiv durch alle zwanzig Lieder. Der Bach wird Gefährte und Begleiter, dem der Verzweifelte sich anvertraut, dem er seine Hoffnungen, Sehnsüchte und Sorgen schildert. Trösten kann er indes nicht – nur ihn am Schluss aufnehmen und betten in seinem "kristallenen Kämmerlein". Dann nämlich, wenn im letzten Lied das Schwappen des Wassers mit dem Schaukeln des Wiegenliedes eine unheilvolle Allianz eingeht und der Wanderer sein Ende im Bachbett statt im Bett der Angebeteten findet. Denn die schöne Müllerin pfeift auf den Jungspund. Lässt ihn links liegen und nimmt lieber einen echten Kerl, den Jäger. "Ist das denn meine Straße?" Daniel Behle vermag es, in dieser initiatischen, zunächst verheißungsvollen, dann tragischen Reise als wandernder Handwerksgeselle und um die Müllerstochter Werbender aufzutreten, ohne vorzugeben, der Müllerbursche sein zu wollen. Er entwirft das Psychogramm eines "Verblendeten", der sich eine Illusion aufbaut, die sich nicht erfüllen kann. Meisterlich balanciert der Hamburger Tenor dabei auf dem schmalen Grat, auf dem aus dem Zusammenspiel von Dichtung, Gesang und Klavier eine eigene Welt entstehen kann. Eine Welt, die im Kopf des Zuhörers Bilder aufsteigen lässt: Blumen, Felder, Wald. Himmel, Sterne, Mond. Bachlauf. Er zeichnet Menschen, den Mund zum Kuss gespitzt. Den "trotzigen Jäger mit struppigem Haar". Lässt die Hitze der Sonne und die Kühle der Nacht auf der Haut spüren. Mit Pianist Sveinung Bjelland hat Behle einen mitfühlenden, mitdenkenden und anpassungsfähigen Begleiter. Gestaltend, aber immer im Dienste der Ausdrucksintensität des Sängers agiert er am Steinway. "... aber weißt du, 
wie Liebe tut?" Behles Stimme, Spiegel der verwundeten Seele in diesem Monodram, durchmisst im Verlauf des Abends einen emotionalen Kosmos. Sie wirbt, buhlt, sehnt. Verzweifelt, wütet, weint. Samtig ist sie, fahl, hauchend. Dann wiederum triumphierend-jubelnd: "Mein! Die geliebte Müllerin ist mein!" Oder schäumend: "Die Eber, die schieß, du Jägerheld!" Ein kopfloser Wutausbruch in aberwitzigem Tempo. Und doch immer textverständlich. Welch emotionale Achterbahnfahrt. Aber wen wundert’s? Hier leidet einer und offenbart, wie es ihm ums Herz ist. Schwer verliebt. Eifersüchtig. Naiv. Verblendet. Sich selbst bemitleidend. Voller Gedanken, die immer und immer nur um das Objekt seiner Begierde kreisen. Frühlingsgefühle total. Hin und her geworfen zwischen "Sie liebt mich"–"Sie liebt mich nicht" Kein Charakter ist das, mit dem man sich ohne weiteres identifizieren mag. Und trotzdem lauscht man zwanzig Lieder lang gebannt. Weil man wissen will, wie es weitergeht mit dem Müllerburschen, diesem "armen weißen Mann", der schmachtet und träumt und nicht erhört wird. Weil man gar nicht anders nicht kann als hinzuhören, wenn Stimme und Klavier, Sänger und Pianist, sinnreich die Schubertsche Klangwelt durchdringen. Obwohl die kompositorischen Finessen im Klaviersatz und die totale Zerbrochenheit des lyrischen Ichs dazu verleiten können, überreizen Behle und Bjelland nichts. Sie vermeiden es, dramatische Höhepunkte opernhaft überschwänglich darzubieten und setzen stattdessen auf schlichten Liedgestus. Und packen die beiden doch einmal beherzter zu, dann wohldosiert – wie etwa in der vierten Strophe des Kopfliedes: Wenn sie dort dem Wort "Steine" einen Akzent verleihen und die Brocken schwer abwärts poltern lassen, so ist das wie eine ferne Ahnung – als zöge es den jungen Mann von Anbeginn seiner Wanderung an unabwendbar in die Tiefe. Viele starke Augenblicke sind das. Die einem mit Fortschreiten des Abends einen Kloß im Hals wachsen lassen. Denn Behles "Müllerin" trägt viel leise Wucht im Herzen. Sie berührt. Und vor allem das wird dem Publikum in Erinnerung bleiben – die Momente, in denen es berührt wird. Berührt von der Wahrheit des Gefühls. Von den Abgründen, die sich dahinter auftun. Von den Irrwegen der menschlichen Psyche bis ins eigene Ich. Liebesleid schmerzt. Gestern so wie heute. 2016 nicht anders als 1823.

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