Zu Gast waren aber auch keine Unbekannten. Frank Suchland entführte auf eine Reise in die Welt von Joachim Ringelnatz. Es gebe wohl kaum jemand anderen, der ein so faszinierendes und zugleich tragisches wie furchtbar kurzes Leben hatte, sagte der Schaumburger Rezitator. Mit Gedichten und Versen ließ er das Wirken des Künstlers, der nebenbei noch mehr als 30 Berufe ausgeübt hatte, Revue passieren. Er war Seemann und schaffte es bis zum Leutnant, aber unter anderem auch zweiter Träger der Riesenschlange auf dem Jahrmarkt, Postschnüffler und wahrsagende "Zigeunerin" in Bordellen. Das lieferte einem Bekenntnis- und Gelegenheitsdichter wie Hans Gustav Bötticher, so sein bürgerlicher Name, jede Menge heiteren Stoff. Immer wieder ging ein Raunen durchs Rodenberger Auditorium, angefangen bei den Erinnerungen an seine zunächst unbeschwerte, später schwierige Kindheit (er flog als Sechstklässler vom Gymnasium, weil er sich tätowieren lassen hatte) bis zu Auftritten im Künstlerlokal "Simpl" in München unter dem Geiz des bajuwarischen Urweibs Kathi Kobus für lediglich ein Freigetränk. Dabei enthielt Suchland seinen Zuhörer keineswegs Ringelnatz‘ laut schnarrenden Vortragsstil, nur sein starkes Sächseln ersparte er ihnen. Ob derbe Seemannsverse, der bekannte Reiserücktritt zweier Ameisen, das gestandene Ehegedicht über einen Nagel und eine Messingschraube, bei dem alle aufgerufen waren die letzten Worte ("alte Liebe rostet nicht") mitzusprechen oder das Sinnieren über "Herz, Arsch und Hirn" : Suchland schlüpfte regelrecht in die Zeilen und erweckte sie zum Leben. Die Hochzeitsrede, die "Ansprache eines Fremden an eine Geschminkte vor dem Wilberforcemonument", gab er sogar lallend über dem Weinglas zum Besten. Trotz des grandiosen Witzes dabei, machte der Rezitator auch deutlich, dass in dem kleinen verrückten Typen mit großem Mundwerk eine "sanfte Seele" wohnte. "Muschelkalk", so nannte Ringelnatz seine Frau Lona. Und die besagte Ansprache endet mit "Mein richtiges Herz. Das ist anderwärts, irgendwo Im Muschelkalk", dem Titel der Lesung. Mit der Beerdigung war Suchland nicht nur eingestiegen, er endete auch mit ihr. Im Alter von nur 51 Jahren starb Ringelnatz an Tuberkulose. Sein Grab bedeckt eine Platte – aus Muschelkalk. Foto: jl
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Wenn die Messingschraube zum Nagel sagt: "Alte Liebe rostet nicht"
Frank Suchland entführt im Rausch der "Kulturdroge" auf Ringelnatz-Reise / Deisterbuchhandlung ist ausverkauft
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