1. Muße für den Augenblick

    Video- und Fotoarbeiten von Christoph Brech im Schloss

    Dieser Eintrag wird bereitgestellt durch Schaumburger Wochenblatt | Impressum

    Detmold (vfc). Ein Blick lohnt sich! Die derzeitige Ausstellung "Shift" der Lippischen Gesellschaft für Kunst im Detmolder Schloss (LGfK) lädt ein, mit den gezeigten Foto- und Videoarbeiten des Künstlers Christoph Brech das Sehen wieder zu entdecken. In der Zeit von Selfies und permanenter Bildüberflutung ist unser Blick ein schneller geworden. Rasch wirft man ihn auf die Welt, fotografiert schnell die Umgebung mit dem Smartphone. Die feinen Nuancen werden übersehen. Das Verweilen im Augenblick scheint verloren.

    Wer den Ausstellungsraum im Schloss bis zum 16. Mai betritt, erhält das Angebot im Augenblick zu verweilen. In der abgedunkelten Abgeschiedenheit, fern vom lärmenden Alltag, umfängt einen die ehemalige Schlossküche als ein Hort der Ruhe für das Sehen. Wer einen Blick wagt und sich Zeit dafür nimmt, den ziehen Brechs Video- und Fotoarbeiten in den Bann. Dem schärft sich der Blick für das Besondere im Augenblick. So wie in Brechs Videoarbeit "Monsalvat". Auf schwarzer Fläche schwimmen goldglänzende Schwäne – langsam, majestätisch, wie ein choreographiertes Schwanenballett treiben sie dahin zur Musik von Richard Wagners "Lohengrin". Wäre da nicht der Motorenlärm der vorüberfahrenden Autos, der gelegentliche Schattenwurf vorübergehender Passanten, könnte man diese Szenerie fast am Rande des Kitsches verorten. Sie scheint fast zu perfekt, um real zu sein. Dabei filmte Christoph Brech sie bei Minusgraden nachts auf dem Weg zu einer Party am Berliner Landwehrkanal. So poetisch kann die Wirklichkeit sein. Brech stellt die Frage nach dem tatsächlich Sichtbaren. Das 2013 im Auftrag der Bayerischen Staatsoper entstandene Videoportrait des Sängers Wolfgang Koch zeigt den Bariton in sieben Bühnen-Make-ups der in München gesungenen Rollen. Zunächst ist er Wotan, der blonde Hüne mit Augenklappe aus Wagners Monumentalzyklus "Der Ring des Nibelungen". Langsam bilden sich auf Kochs Stirn Flecken, Schweiß, das blonde Haar wird schwarz und strähnig, die Haut seiner linken Gesichtshälfte löst sich blutig auf wie rohes Fleisch. Es ist die Rolle des Don Pizarro in Beethovens "Fidelio". In der Inszenierung der Bayerischen Oper wurde der Kerkermeister gerade Opfer eines Säureanschlags. Es folgen vier weitere Portraitbilder des Sängers. Nach acht Minuten wird aus dem Goldjäckchen und der Sonnenbrille Don Giovannis aus Mozarts gleichnamigen Dramma giocoso wieder eine Augenklappe und Wotans schwarzes Gewand mit Mäanderbordüre wird erneut sichtbar. Die Verwandlung des Wolfgang Koch beginnt von neuem. Wie in einer endlosen Melodie, der ein harmonisches Fundament zugrunde liegt: Die Frage nach dem, was sich hier tatsächlich zeigt. Ein Opernsänger, eine fiktive Person oder Wolfgang Koch selbst? Statuarisch steht der Sänger vor der Kamera. Gelegentlich, bei genauer Betrachtung ist eine kleine Regung seiner Mimik wahrzunehmen: ein Augenzwinkern, das Öffnen des Mundes oder das Hüpfen des Adamsapfels. Sehr sinnlich, sehr intim. In fast beängstigender Nahaufnahme zeigt sich der Bariton und bei genauem Hinsehen ist in seinen Augen das Innere der Rolle, die er darstellt, ablesbar. "Man schaut anders, wenn man die Umgebung nicht kennt," erläutert der Künstler. Brechs Arbeiten entstehen daher häufig auf Reisen. Die Welt offenbare ihm diese Einblicke, er müsse nur richtig hinschauen. So wie bei seinem Besuch des Detmolder Schlosshofes. Unmittelbar fielen ihm die beiden Kanonen Cassius und Florencius in den Blick, die diagonal im Hof positioniert und ihre Geschosse direkt auf den Besucher am Eingangsportal richteten. Brech ließ die Kanonen mit Einverständnis der Hausherrin Prinzessin Traute verschieben. Für die Ausstellungsperiode stehen sie nun in einer entschärften Situation im Dialog zueinander. Ein geänderter (Blick)winkel, schon treten ungesehene Perspektiven hervor. Die Zeit verrinnt und mit ihr der Augenblick. Brech findet dafür in seinem Film "Il Ponte" (ital. die Brücke) eine malerische Metapher und referiert dabei zugleich auf seine künstlerische Herkunft, die Malerei. Wie ein Landschaftsgemälde eines William Turner zeigt sich eine Nebellandschaft. Der schwarze Schattenriss eines Busses fährt durch das Turner-Bild. Spaziergängern-Silhouetten hasten durch den dicken Nebel; eine Brücke, schwarz, massiv taucht im Dunst auf. Langsam, fast unmerklich, durchziehen kleine Wellenbewegungen, wie Wind auf dem Wasser, den wolkenverhangenen Himmel. Nebulös säuselt über dem Betrachter das ins fast Unkenntliche gestreckte Adagietto aus Mahlers 5. Sinfonie. Jene Melodie, die die morbide Stimmung in Luchino Viscontis Verfilmung von Thomas Manns Novelle "Tod in Venedig" untermalt. Wer sich auf den mehrminütigen Film einlässt, wird in ein Landschaftsgemälde in filmischer Zeitlupe hineingesogen. Faszinierend und irritierend zugleich. Hier verrinnt zäh wie Nebel die Zeit, wird sichtbar, hörbar und spürbar. "Augenblick verweile doch, du bist so schön"– während sich Faust für diesen Moment mit dem Teufel einlassen muss, erhält ihn Brech gratis, dabei ebenso schön. Er hat seinen Blick für die einzigartigen Dinge der Umgebung geschult und lässt den Betrachter daran partizipieren. Brech hält für uns den Augenblick fest. Seine Fotoserie "Pantheon, September 2013" ist daher auch nicht als bloße Architekturfotografie zu verstehen. Vielmehr fängt Brech jenen Moment ein, in dem die Sonne in einem bestimmten Winkel in das Pantheon fällt und den antiken Raum in ein besonderes Licht taucht. Ein Augenblick für die Ewigkeit. Man muss nur richtig hinsehen.

  2. Kommentare

    Bitte melden Sie sich an