1. Ulknudel – nichts für Mimosen!

    Nessi Tausendschön und die "Wunderbare Welt der Amnesie"

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    Lügde (afk). "Habt Mut zur Lücke!" Genauer gesagt zur Gedächtnislücke. Das ist der einfache Ratschlag, den Nessi Tausendschön (Annette Maria Marx) bei ihrem dritten Auftritt im voll besetzten Klostersaal ihrem Publikum ans Herz legte. Doch bevor sie Näheres erläutert, möchte sie sich selbst erst einmal eine Gedächtnisstütze schaffen und hält ihr Publikum fotografisch fest. Ein "Vorher-Foto" und ein "Nachher-Foto" sind ihr festes Ritual: "Setzen Sie bitte jetzt Ihr Gesicht auf, für das Sie die gesamte Woche geübt haben!" Die, die in der ersten Reihe sitzen, laufen zudem ständig Gefahr, zum Gespött zu werden. Ja, Nessi Tausendschön ist nichts für Mimosen, sie geht auf Konfrontationskurs mit dem Publikum. Sie provoziert und fordert heraus.

    Die Tausendschön beherrscht sämtliche Genres der Kleinkunst; mit ihrer Art erobert sie das Publikum im Sturm. Uneitel, mit frechen Fabulierungen, auch derber Ausdrucksweise, selbstironisch und unprätentiös geht die Entertainerin mit allem und jedem ins Gericht - auch mit sich selbst. Sie bringt mit ihrem Programm "Die wunderbare Welt der Amnesie" eine gehörige Prise Anarchie auf die Bühne. Dabei will sie sich nicht mit der medizinischen Seite der Amnesie befassen. Vielmehr gehe es ums Verdrängen und Vergessen. Wichtig sei vor allem die Unterscheidung zwischen gewolltem Vergessen und ungewolltem Vergessen. "Wollen sie ein Beispiel? Schauen sie auf Uli Hoeneß. Hier sprechen wir von Steueramnesie." Aber nicht nur in der Prominenz sind Fälle von Amnesie vorhanden. "Gucken Sie sich selbst an. Ich bin mir sicher, wir leiden alle mal an Hochzeitstagsamnesie und Geburtstagsamnesie." Dieses ungewollte Vergessen, das hat manchmal auch Vorteile. Genauer gesagt ist es, laut Tausendschön, sogar notwendig. Es ermöglicht uns ein sinnvolles Weiterleben auch nach dem Steuerbescheid und den 20- Uhr- Nachrichten. "Wie sollen wir denn sonst all diese Informationen verarbeiten, ohne gelegentlich welche zu vergessen?" Humorvoll, einfühlsam und direkt, so lassen sich die gelernte Zierpflanzengärtnerin (ihr Künstlername "Tausendschön" ist übrigens an die volkstümliche Bezeichnung des Gänseblümchens angelehnt) und ihr Programm wohl am ehesten beschreiben. Nessi sucht im Gewöhnlichen das Besondere und findet es mithilfe ihres meist stoisch wirkenden Lebenspartners William MacKenzie, der wunderbar entspannte Dobro- und Slidegitarrenklänge beisteuert und obendrein als Umzieh-Pausenfüller urkomisch "zaubern" kann. Mit ihm, ist sie "eine Konifere im Großkunstbereich", teilt sie dem Publikum mit. Und wie immer, wenn Nessi Tausendschön ihr herrlich verrücktes Unwesen treibt, fliegen ihr die Herzen zu. Wenn sie tanzt wie eine Elfe, sich verrenkt wie eine Schlange, ihr greller Sopran zur singenden Säge ertönt, oder wenn sie einfach nur schimpft wie ein altes Marktweib – sie verabreicht unter dem Deckmantel entspannender Abendunterhaltung eine Gift-Oblate nach der anderen und geht mit allem und jedem ins Gericht. Mit ihrer voluminösen und schmiegsamen Drei-Oktaven- Stimme entpuppt sich die polternde Ulknudel auch als brillante Jazzsängerin. Mit ihrem wohlmodulierten Organ, verziert sie melodisch ihre Lieder – mal Liebeslied, mal Chanson mit frechen Texten. Diese Frau ist voller Kontraste. Komödiantische Höhepunkt sind ihre Auftritte als Schutzengel mit Alkoholproblemen, als Ludmilla aus Kasachstan oder als Gabi Pawelka, die Seminarleiterin mit dem sächsischen Zungenschlag. Im braven Kostümchen sitzt sie da und erzählt von ihrem Hobby, dem "Anfertigen von Trockengestecken in den Landesfarben". Doch Gabi fehlt nach einem Motivationsseminar einzig und allein ein Mann. "Du herrlicher Gatte, da unten in der Dunkelheit", fleht sie ins Publikum, "Du kannst ruhig dick und kahl sein, aber einen soliden Beruf solltest Du haben, vielleicht Sanitärfachmann oder Bestatter, denn gesch... und gestorben wird immer." Das ist Nonsens mit Tiefgang, Albernheit von hoher Qualität! Und auf ihrem "Nachher-Foto" aus dem Lügder Klostersaal dürfte wohl das eine oder andere schmunzelnde Gesicht zu sehen sein.

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