1. Weg, weg mit dem,
kreuzige ihn!"

    Aufführung der Bachschen Johannespassion in St. Marien

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    Lemgo (pgk). Dramatisch ist sie angelegt, die Johannespassion von Johann Sebastian Bach als kürzere und kleiner besetzte frühe Schwester seiner Matthäuspassion, und als Bach sie erstmalig am Karfreitag 1724 in der Leipziger Nikolaikirche aufführte, konnte niemand ahnen, dass dieses faszinierende Werk nach wenigen Aufführungen durch den Komponisten in einen hundertjährigen Dornröschenschlaf fallen sollte, aus dem es Felix Mendelssohn Bartholdy mit seine Berliner Singakademie erst im Jahre 1829 wieder zum Leben erweckte. Die Aufführung der Johannespassion in der gut besuchten Lemgoer Marienkirche wurde von nahezu 100 Sängerinnen und Sängern der Marienkantorei und den Solisten Ute Engelke (Sopran), Thomas Riede (Altus), Florian Feth (Tenor), Julian Redlin (Bass) und Martin Backhaus (Bass, Pilatus) gestaltet unter der Leitung von Kantor Volker Jänig. Den instrumentalen Part hatte hier das Orchester "arcipelago"übernommen, dem es mit historischem Instrumentarium, wie Viola damore, Violone, Viola da Gamba, Laute und barocken Holzbläsern überzeugend gelang, den Zuhörer in die originalen Klangwelten von 1724 zu entführen und ihm den kernigen Sound eines "Bassono grosso" (eine Art Kontrafagott, das Bach nur für seine Johannespassion einsetzte) nachvollziehbar vor Ohren zu führen. Gleich bei dem beeindruckenden, glanzvoll und großflächig interpretierten "Herr, unser Herrscher" zeigte Volker Jänig mit großem ruhigen, aber präzisem Dirigat, dass metrische Ausgewogenheit zu seinen Stärken zählt und hier Marienkantorei und "arcipelago" das komplexe Gewebe von Bewegtheit und Ruhe (Größe) dieses Eingangschores majestätisch erstrahlen ließen, ebenso wie auch die zahlreichen in das Werk eingebundenen aussagestarken Choräle. Qualifikationen ganz anderer musikalischer Prägung fordern hingegen die sogenannten Turba-Chöre, die opernhaft und dramatisch die aufgebrachten Volksmassen darstellen. Nicht zu unterschätzen im Schwierigkeitsgrad hier der Entlarvungschor des Petrus "Bist du nicht seiner Jünger einer?", von der Marienkantorei in abgewogenem Tempo perfekt gemeistert, das höchst präzise gesungene "Wir haben ein Gesetz" der bösartigen Volksmenge, die exakt eingefügten, gefürchteten "Wohin"-Rufe des Chores in der Bass-Arie Nr. 48 und schließlich in pfeffrigem Metrum das Losen der Kriegsknechte um den Rock Jesu "Lasset uns den nicht zerteilen", federnd, leicht, durchsichtig und brillant von Chor und Orchester vorgetragen.

    Der Part des Evangelisten, in dem die fortlaufende Handlung der Kreuzigung wortgetreu nach dem biblischen Text des Johannesevangeliums - mit kurzen, effektvollen Einschüben aus Matthäus - beschrieben wird, stellt eine der umfangreichen und anspruchsvollsten Herausforderungen für den Tenor dar. Florian Feth sang die gesamte Evangelistenpartie großartig und deklamierte derart überzeugend, dass beispielsweise nach der Passage "Da gedachte Petrus an die Worte Jesu und ging hinaus und weinte bitterlich" im Publikum ergriffene Stille eintrat. Auch die anschließende Tenorarie "Ach mein Sinn", die die Zerrissenheit der Seele durch höchst komplexe Rhythmik und Melodik zwischen Streichern und Solist verdeutlichen soll, gelang Feth hervorragend, von Jänigs wachsamem Dirigat in all seinen defizilen Verwobenheiten geleitet und inspiriert. In höchst beeindruckender Weise gestaltete Feth ebenfalls, zusammen mit 2 solistischen Viola damore und Viola da Gamba, die "Erwäge"-Arie (Nr. 32), die mit ihren filigranen "Regenbogen-Kantilenen" den Zuhörer tief berührte. Zu den solistischen Höhepunkten der Aufführung zählten sicherlich auch die Sopranarie "Ich folge dir gleichfalls", schwebend leicht, fast tänzerisch von Ute Engelke und den Instrumentalisten musiziert und dem fast abgeklärt gesungenen "Zerfließe mein Herze" (Nr. 63), in dem Engelke mit wunderbar weichen Sopranmelismen bei sensibler kammermusikalischer Holzbläser-Begleitung der Trauer spürbar Ausdruck verlieh. Einen ganz besonderen musikalischen Akzent in diesem Rahmen setzte ebenfalls die schon von der Komposition her grandios angelegte Altarie "Es ist vollbracht", von Thomas Riede mit großem Tonvolumen beeindruckend vorgetragen, und der hochdrama-tische Einschub "Der Held aus Juda", der bei aller Trauer die Sieghaftigkeit des Geschehens verdeutlichen soll, erreichte in seiner hier ausinterpretierten vitalen Dynamik den Zuhörer ausgesprochen intensiv. Nach dem Schlusschor "Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine", von Chor und Orchester in ausgewogenem Metrum Jänigs effektvoll musiziert, verdichtet der anschließende Choral theologisch das gesamte Passionsgeschehen zu der innigen Bitte "Alsdann vom Tod erwecke mich, dass meine Augen sehen dich", von Marienkantorei und Orchester derart beeindruckend deklamiert, dass sich die im Programm erwünschte Stille im Anschluss durch die Betroffenheit des Zuhörers nahezu von selbst einstellte, bevor intensiver Applaus den Dank des Publikums ausdrückte.

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