Lemgo (ag). Ihr Handy hat doch sicher eine Kamera? Oder sogar zwei? Was, wenn Sie jemand dadurch beobachten könnte? Jederzeit. Und Sie ahnen es nicht einmal. In einer Großveranstaltung in der Lipperlandhalle wurden Ende Januar rund 1.700 Schüler einiger Lemgoer Schulen Zeugen einer "Handykamera-Übernahme". Ein Raunen ging durch das junge Publikum, als alle aufgefordert wurden auf ihr Handy zu schauen und plötzlich das Gesicht einer anwesenden Schülerin auf der Großleinwand zu sehen war. Ein Schockmoment, der nur eine Möglichkeit der Überwachung aufzeigen sollte. Das Handy war nicht das der Schülerin und zuvor präpariert worden.
Hendric Schwär-Fröhlich vom Geschäftsbereich Jugend und Schule der Stadt Lemgo hat die Veranstaltung organisiert, damit sich die Jugendlichen der Risiken und Gefahren der digitalen Welt bewusster werden. Um Einblicke in das komplexe Thema Datensicherheit zu gewinnen, waren Datenschutz-Experte Padeluun aus Bielefeld (Digitalcourage e.V., ehemals FoeBuD), Theaterregisseurin Angela Richter ("Supernerd") und Filmproduzent Georg Tschurtschenthaler eingeladen. Den Schülern wurde vorgeführt, wie die "Likes" in Facebook genutzt werden, um Persönlichkeitsprofile von ihnen anzufertigen, die zusammenfassen, was sie mögen – ob sie zum Beispiel eher offen oder verschlossen sind. Es wurde erläutert, dass Computer aus ihrem gesammelten Klick-Verhalten Alter, Geschlecht, IQ und vieles andere berechnen und zu einem Gesamtbild zusammenfügen, das sie vielleicht besser beschreiben kann, als der beste Freund es kann. Die eingeladenen Gäste machten deutlich, dass es die Verknüpfung vieler Daten ist, die dieses Bild schärft. Doch allein das Handy "weiß" mit Fotos, WhatsApp, Instagramm, SMS, GPS, Anrufen und Kontakten eine ganze Menge über seinen Besitzer, so die Experten. Es wurde empfohlen immer genau zu bedenken, wem man den Zugang zu persönlichen Daten gebe. Digitalcourage empfiehlt im Faltblatt "Digitale Selbstverteidigung" unter anderem nicht bei Facebook, WhatsApp oder Threema zu chatten und besser Suchmaschinen zu verwenden, die mit Daten umsichtig umgehen, wie "metager.de", "duckduckgo.com" oder die "Google Maps"-Alternative "OpenStreetMap". Verschlüsselung von Festplatten und E-Mails sind für die Expertenrunde selbstverständlich. Digitalcourage wird sogar noch in diesem Jahr ein verschlüsseltes E-Mail-Programm namens "Pretty easy Privacy" herausbringen. Dieser kompakten "Informationswelle" konnten nicht alle der anwesenden Schüler standhalten. Unter den Zuschauern der Informationsveranstaltung waren auch Nadja, Marvin, Florian, Jan und Jan-Niclas, fünf Schüler der Karla-Raveh-Gesamtschule. Sie alle sind in derselben AG der Schule: Als "Medienberater" (Klasse 7 bis 11) gehen sie in die Klassen und klären, vornehmlich jüngere Schüler (Klasse 5 und 6), über Datenschutz-Risiken in sozialen Netzwerken und bei Handynutzung, aber auch über Cybermobbing und ähnliche Themen auf. Obwohl die fünf Medienberater schon ein solides Grundwissen zu der Veranstaltung mitbrachten, haben sie sich nicht gelangweilt. Nadja hat viele Dinge gelernt, die sie nicht wusste und fand die Veranstaltung "sehr gut und hilfreich". "Dass man Zugriff auf beide Kameras des Handys haben kann", hat Marvin an der inszenierten "Handy-Übernahme" extrem beeindruckt. Doch nicht alle Schüler in der Halle verfügten über das Wissen der Medienberater. "Die Zielgruppe war nicht so die richtige – vielleicht zu jung", gab Florian zu bedenken. Weitere spannende Einblicke, aber auch volle Konzentration forderte auch der präsentierte Film "Digitale Dissidenten". "Jedes Foto landet auf irgendeinem Server. Whistleblower Julian Assange, Edward Snowden, Daniel Ellsberg und anderen verdanken wir, dass wir wissen, was mit den Daten gemacht wird", so Filmproduzent Tschurtschenthaler, dessen Film den Schülern in voller Länge gezeigt wurde. Ob Whistleblower Superhelden oder Verräter sind? Darum geht es gar nicht. Es geht um Wissen. Wissen, das Daten über jeden Menschen verraten. Der Film fragt nach, wer hat Interesse an diesen Daten? Und was wird damit gemacht? Denn ob Konzerne, Geheimdienste oder einfach nur Menschen mit bösen Absichten, sie alle sammeln Daten. Aber wer nichts Schlimmes getan hat, hat doch auch nichts zu befürchten? Tschurtschenthalers Film bringt es auf den Punkt: "Wenn jemand, den Sie nicht kennen, sagt: ‚Ich nehme Ihre Hausschlüssel, Ihre Autoschlüssel, Ihre Daten von Google, Ihre medizinischen Fakten, Ihre Bankkarten, ... und verwalte sie für Sie.’ Würden Sie sie ihm geben?" Die Datensammler fragen nicht, sie nutzen die Daten für ihre Zwecke. "Alles wird gesammelt, analysiert und gespeichert", so Julian Assange im Film. Tschurtschenthaler warnte in seinem Film vor einer Überwachungsgesellschaft in der alle manipulierbar werden – auch die, die sich nichts zuschulden kommen lassen haben – und sich Menschen anpassen, um nicht aufzufallen. Ganz schwierig würde das Thema Überwachung, wenn ein politisches System an die Macht komme, dass sich nicht der Demokratie verschrieben habe, wie im Dritten Reich. "In was für einer Welt wollt Ihr leben?", fragt Edward Snowden am Ende des Films.