1. Über Istanbul und Rinteln in eine bessere Zukunft

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    Seine Mutter hatte ihm gesagt, dass er gehen müsse, weil er sonst sein Leben verlieren würde. Abdullah arbeitete als Dolmetscher für die US-Armee, ein Elternteil von ihm gehört dem christlichen Glauben an. Der "Islamische Staat” hatte die Stadt, in der er lebte, eingenommen. Er ist sich sicher, dass er auf dessen Todesliste steht – wie alle, die den USA "geholfen" und nicht den "richtigen" Glauben haben. Abdullah erzählt, dass er über Istanbul nach München kam. 29 Tage war er unterwegs: in einem Van mit anderen Flüchtlingen, in absoluter Dunkelheit durch Wälder. Es wird stimmen, dass Abdullah versteckt transportiert wurde, es wird stimmen, dass er tagelang marschiert ist – aber stimmt es, dass er nicht weiß, über welche Länder er nach Deutschland gekommen ist? Der junge Iraker weiß, dass ihm wohl die Abschiebung droht, so wie auch allen anderen Flüchtlingen, die vor der Ankunft in Deutschland einen Fuß in ein anderes EU-Land gesetzt haben. Aus München kam Abdullah nach Schaumburg. Viermal die Woche geht er zum Deutschunterricht. "Ich möchte meine neue Heimat in Deutschland finden", sagt der 27-Jährige in fließendem Englisch. "Für mich ist es deshalb selbstverständlich, dass ich so schnell wie möglich die deutsche Sprache lerne." In der Notunterkunft Prince-Rupert-School in Rinteln hilft er dem Deutschen Roten Kreuz als Dolmetscher, übersetzt vom Arabischen ins Englische. "Das DRK ist großartig", sagt Abdullah. "Alle, mit denen ich bisher zu tun hatte, geben ihr Bestes, sind teilweise rund um die Uhr für uns da." Dennoch birgt das Campleben auch Konfliktherde: Wenn das Essen mal nicht schmeckt, wenn der Wunsch nach einem eigenen Raum übermächtig zu werden droht, wenn die Hoffnungen und Erwartungen, die jeder Flüchtling mitgebracht hat, (zunächst) enttäuscht werden müssen. "Manche Flüchtlinge sind bereits seit mehreren Monaten in einer Notunterkunft untergebracht. Es hat lange gedauert, bis in Niedersachsen, die unbedingt nötigen Registrierungen der Flüchtlinge gestartet sind", sagt Bernd Koller, Präsident des DRK Schaumburg. Ohne Registrierung kann aber die ärztliche Untersuchung nicht durchgeführt werden, ohne Untersuchung darf kein Asylantrag gestellt werden – ohne Antrag auf Asyl wird keine finanzielle Unterstützung gewährt und die Flüchtlinge können nicht in andere, bessere Unterkünfte vermittelt werden. Da momentan 407 Flüchtlinge – die meisten von ihnen kommen aus Syrien, Afghanistan, Irak, Eritrea oder Äthiopien – in der Prince-Rupert-School untergebracht sind, finden die Untersuchungen im Kreiskrankenhaus Rinteln statt. Koller erklärt: "Seit das DRK mit der Unterbringung, Verpflegung, Einkleidung und der Gewähr der Sicherheit der Flüchtlinge betreut wurde, stehen wir in engem Kontakt mit Dr. Achim Rogge. Schon Anfang September hatte dieser uns Unterstützung angeboten." Auch die 70 Flüchtlinge aus Bückeburg werden hier untersucht. "Wir haben uns bewusst für den Standort Rinteln entschieden, um die Wege für die Flüchtlinge und das DRK kurz zu halten", erläutert besagter Rogge. Von montags bis donnerstags sind extra Sprechstunden in den "normalen" Krankenhausalltag integriert. "Ich freue mich, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Aufgabe als so selbstverständlich empfunden haben und hochmotiviert das DRK unterstützen", so Rogge. Gemeinsam mit drei weiteren Kolleginnen und Kollegen untersucht Chefarzt Dr. Christoph Hunnius zwischen 12 und 14 Flüchtlingen pro Sprechstunde: "Während dieser Untersuchungen horche ich zum Beispiel Herz, Lunge und taste die Leber ab. Grundsätzlich bekommen alle, die zu uns kommen, auch noch verschiedene Schutzimpfungen." Selbstverständlich, so der Arzt, werde bei jeder Frau zuvor ein Schwangerschaftstest gemacht, damit das Kind im Mutterbauch nicht durch Röntgen oder ähnliches geschädigt wird. Schwangerschaften sind nicht selten, zurzeit leben acht hochschwangere Frauen in der Notunterkunft. Auch ein "Camp-Baby" gibt es seit wenigen Tagen. "Jede von ihnen hat einen eigenen Raum bekommen. Das war uns sehr wichtig, aber natürlich heißt das für die anderen auch, dass sie noch enger zusammenrücken müssen", sagt Koller. Wie viele Flüchtlinge in einer Notunterkunft untergebracht werden, wird vom Land bestimmt. Es scheint dabei allein um die Größe des Gebäudes zu gehen, nicht um die Möglichkeiten der Unterbringung. Abdullah erzählt, dass in einer anderen Notunterkunft 1.200 Menschen in einem großen Raum zusammen leben müssen – und dass es durchaus auch Zeltstädte gibt. "Ich kann mich nur wiederholen", sagt Abdullah immer wieder, "ich bin sehr dankbar für die Arbeit des DRK." Dankbarkeit erfahren Dr. Hunnius und sein Team auch von den anderen Flüchtlingen: "Niemand war hier je unhöflich oder unfreundlich. Wir wissen, dass wir mit jedem Attest den Weg in eine neue – hoffentlich bessere – Zukunft ein Stück mehr möglich machen. Dieses Wissen und die Dankbarkeit der Flüchtlinge geben meinem Team und mir ein gutes Gefühl." Die Arbeit des DRK, der vielen helfenden ehrenamtlichen Hände und der Ärzte im Krankenhaus wird so schnell nicht enden. "Beide Notunterkünfte erhalten 2016 sicher wieder ‚Neuzugänge‘ und werden dann auch maximal ausgelastet sein, das heißt, dass im Laufe des Jahres voraussichtlich 888 Flüchtlinge aufgenommen werden." Foto: privat

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