OBERNKIRCHEN (sk). Mit einer Gedenkfeier ehrte der Reifensteiner Verband Anfang Oktober den 100. Todestag seiner Gründerin Ida von Kortzfleisch im Stift Obernkirchen. Dort war viele Jahre lang die "Wirtschaftliche Frauenschule Obernkirchen", später umbenannt in "Landfrauenfrauenschule", des Reifensteiner Verbandes untergebracht. "Ida von Kortzfleisch hat sich mit Mut, Ausdauer, Idealismus und Tatkraft für Frauen eingesetzt", so Ina Farwick, 1. Vorsitzende des Reifensteiner Verbandes. "Wir ehren heute eine herausragende Persönlichkeit der Frauenbewegung." Die 1850 in Pillau/Ostpreußen geborene und später in Hannover lebende Aktivistin hatte schon früh die schlechten Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten von Frauen erkannt. Um Bildung, Arbeit und die Teilhabe am öffentlichen Geschehen von Frauen zu verbessern sei von Kortzfleisch der Gedanke gekommen, ländlich-hauswirtschaftliche Bildungsstätte für Frauen zu gründen. Durch Vorträge und Publikationen warb sie in den frühen 1890er Jahre um Unterstützung für ihre Ziele und gründete 1897 den Reifensteiner Verband als privaten Schulträger sowie die erste Landesfrauenschule in Nieder-Ofleiden/Hessen (später Kloster Reifenstein/Eichsfeld). "Der Reifensteiner Verband umfasste im Lauf von 100 Jahren über 60 Schulen unterschiedlicher Schulträger", erläuterte Farwick zusammenfassen. In dieser Zeit seien 90.000 Landfrauen an den "Wirtschaftlichen Frauenschulen" ausgebildet worden, ehe 1990 die letzten Schulen in Wöltingerode und Wittgenstein geschlossen wurden.
Damals wie heute sei "Bildung der Schlüssel zur Emanzipation" und die Förderung der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Frauen immer noch ein aktuelles gesellschaftliches Thema, betonte die Historikerin Ortrud Wörner-Heil in ihrem Vortrag. Mit der Gründung von Landfrauenschulen wollte Ida von Kortzfleisch etwas gegen die "stumme Tragik des Alltags vieler Mädchen und Frauen" unternehmen. Provoziert habe sie dazu die Lücke im damaligen Bildungswesen sowie das damalige männliche Frauenbild, wonach das Ideal einer Frau nur aus Mutterschaft und Ehepflichten bestand. Doch Ida "zeigte Mut und leistete Widerstand", auch wenn sie mit starkem Spott und Gegenwind zu kämpfen hatte. Ihr Ziel war es, dem "Mangel an Wirkungsmöglichkeiten für Frauen" zu ihrem Wohle entgegenzuwirken und Frauen die Möglichkeit zur Unabhängigkeit zu geben. Mit ihren Landfrauenschulen, in denen sowohl praktische landwirtschaftliche Arbeit als auch theoretischer wirtschaftlicher, naturwissenschaftlicher und politischer Unterricht stattfand, schuf Kortzfleisch ein "wichtiges und originelles berufsbildendes Schulmodell", so Wörner-Heil. "Ida gehört damit zur Geschichte der Emanzipation" und zu einem langen gesellschaftlichen Prozess, der erst 1977 in der Reform des Gleichberechtigungsgesetzes von 1958 zu einer kompletten Gleichstellung von Frauen und Männern in Deutschland führte. Nach Schließung der letzten Schulen im Jahre 1990 bemühe sich der Reifensteiner Verband in Obernkirchen nun "um die Sicherung seiner schriftlichen Überlieferung", teilte Stefan Brüdermann, Archivdirektor des Niedersächsischen Landesarchivs in Bückeburg, mit. 1993 habe der Verband einen Dispositalvertrag mit dem Staatsarchiv geschlossen und im Jahre 2000 sei der gesamte Aktenbestand in das Eigentum des Landes Niedersachsen übergegangen. Ergänzend seien noch viele private Schriftstücke wie Fotos, Briefe und Tagebücher hinzugekommen, "die einen Einblick in das Leben junger Frauen zu Anfang des 20. Jahrhunderts geben". Foto: sk