Lügde (afk). Nicht nur Freunde der rheinischen Mundart kamen im Klostersaal in Lügde voll auf ihre Kosten, als einer ihrer bekanntesten Vertreter, der Kabarettist Jürgen Becker, erstmals diese Bühne betrat. Dass er die Kunst des politischen Kabaretts beherrscht, beweist er als Gastgeber der "Mitternachtsspitzen" im WDR-Fernsehen und im Radio regelmäßig. In seinem Solo-Live-Programm "Der Künstler ist anwesend" nimmt der Kölsche Jung sein Publikum mit auf eine unterhaltsame Reise durch die Kunstgeschichte – und das eben in seinem gepflegten Dialekt, der ihm zusätzlich viele Türen öffnet. "Da wolln mer uns mal nen schönen Abend machen", gehört zu Jürgen Becker geflügelten Begrüßungsworten und enthüllt gleich eine Kopie des berühmten Bildes "Die Jungfrau züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen" von Max Ernst. "Die Jungfrau Maria versohlt dem Jesuskind den Arsch", so übersetzte Becker den Titel. Dann startete er eine höchst amüsante Lehrstunde in Sachen Kunstgeschichte anhand von 120 per Beamer auf eine Leinwand projizierten (zum Teil sehr frechen) Bildern mit Malereien ("Ein Bild muss für sich sprechen, aber meistens sagt es einem nichts"), Skulpturen und Fotos von der Antike bis zur Moderne. Durch (natürlich erfundene) moderne Interpretationen der alten Kunst schaffte Becker es immer wieder, das politische und gesellschaftliche Geschehen der Gegenwart mit der Geschichte zu verknüpfen und führte so mehr als zwei Stunden lang auf höchst amüsante Weise ein in das "Spannungsfeld zwischen Kunst und Religion"– ein auf den ersten Blick spröde klingender Exkurs für alle, die es nicht so direkt mit der Kunst und ihrer Interpretation haben. Aber Becker palavert genüsslich über Kunst und Künstler aus den verschiedensten Epochen und Genres: Nichts wird verschont, die Malerei nicht, die "Arschitektur" nicht, die Bildhauerei nicht, und auch die Kochkunst und die Erotik nicht. Dort, wo im Verständnis von Otto Normalverbraucher Lücken, beispielsweise zwischen dem alten und dem heutigen Griechenland klaffen, wäre Becker der Letzte, der diese nicht farbenfroh schließen könnte: "Die konnten den Bogen nicht mauern. Da ist ihnen ständig der letzte Stein auf den Kopf gefallen. Deshalb können die bis heute nicht rechnen." Sein Trip durch die Geschichte ist nicht nur lehrreich, sondern auch lustig, kurzweilig und manchmal provokativ. Er erklärt, was passiert, wenn Kunst auf Religion trifft und schafft bislang unbekannte Verbindungen, die meist irgendwo zwischen Kunst, Kirche, Kneipe und Kölsch angesiedelt sind. Von der Höhlenmalerei, über die alten Ägypter, von denen alle, Griechen, Römer und eben wir, ihre Architekturkunst geklaut hätten, bis hin zu Beuys reicht die Bandbreite. Da wird ein barockes Nacktbildnis attraktiver Damen zum Betriebsausflug der Hamburg-Mannheimer und die ägyptischen Pyramiden zur hippen Disco. Der Architekt sei später bei "Sunkist" beschäftigt gewesen, behauptet Becker. Nach einem Exkurs in die Geschichte der katholischen Dreifaltigkeit (Becker: "Jesus ist auch ein Unterschiedskind gewesen, heute sicher ein Fall fürs Jugendamt") wendete er sich zum Schluss der wahren Funktion der Kunst zu: Der Schönheit und ihrem sexuellen Versprechen, für die "Erhaltung der Art" zu sorgen. Der bekannte, nach sexueller Befriedigung röhrende Hirsch vorm Alpenpanorama stehe wie kein anderes Werk für diese unausgesprochene Wahrheit. Wahr sei aber auch, dass Kunst heute alles sein könne, selbst ein Pissoir oder ein Feuerlöscher. Geprägt durch seinen Humor gelingt Jürgen Becker mühelos, das Publikum von seinem speziellen und teilweise auch skurrilen Blick auf die Kunst zu überzeugen. "Das ist mal was anderes" sei ein Satz, der sich bestens eigne, ein Kunstwerk zu beschreiben, das einem gar nichts sagt, meint er. Ein Bild müsse schließlich aus sich selbst sprechen. Dieser Satz trifft aber tatsächlich auch auf Beckers Programm zu – das Publikum in Lügde hatte verstanden, was es für ein Kunstwerk präsentiert bekommen hatte, und war schlichtweg aus dem Häuschen! Es war ein köstlich unterhaltsamer Abend. Und auch Jürgen Becker hatte sichtliches Vergnügen an seinem Publikum und stellte fest: "Die eigentlichen Künstler seid Ihr, denn ohne Publikum entsteht keine Kunst". Sprach’s, drehte den mitgebrachte leeren Bilderrahmen um und betrachte seinerseits durch ihn die Besucher. Jürgen Becker lud am Ende, wie in den "Mitternachtsspitzen"üblich, sein Publikum zu einem Glas Kölsch ein. "Sowas hatten wir hier noch nie", war eine Besucherin begeistert.
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Zwei kurzweilige Kunst-Lehrstunden
Jürgen Becker amüsierte das Lügder Publikum vortrefflich
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