Lügde (afk). Einen fulminanten, eindrucksvollen Start in die Spielzeit 2015/16 legten das Kulturbüro OWL in Zusammenarbeit mit der Kolpingsfamilie Lügde mit der Präsentation des Kabarettisten René Sydow im Klostersaal hin. Der 35-jährige Wittener stellte mit "Gedanken!Los!" sein erstes abendfüllendes Programm vor, das erst im letzten Jahr Premiere feierte. Leicht macht René Sydow es seinen Zuhörern nicht. Seine Auftritte erfordern zwei Stunden hohe Konzentration und ein gewisses Maß an Bildung. Denn er spricht flott und geschliffen formuliert – irgendwo zwischen Sophokles und Dieter Hildebrand. Sydow will politischer Kabarettist sein und Schritt halten mit dem Zeitgeschehen. Schlechte Witze und billige Pointen sind nicht sein Ding. Er ist nicht nur als Erzähler auf der Bühne, sondern tritt auch in den verschiedensten Rollen in Dialog mit den Menschen unserer Zeit: mit Arbeitsamt-Mitarbeitern, zynischen Außendienst-Diplomaten und mit Persönlichkeiten von Albert Einstein bis Rudi Völler. Das Wort ist bei Sydow eine scharfe Waffe, die er gegen die Zumutungen von TV- und Politiker-Showbiz blankzieht. So entsteht ein poetisch-politisches Kabarett voll sprachfunkelnder Geistesschärfe und Tiefe. Das Publikum im Klostersaal begriff schnell: Sydow ist kein Mann mit Profilneurose, keiner, der sich und seine Mitmenschen der Lächerlichkeit preisgibt, um schadenfrohe Lacher zu ernten. Er ist viel mehr messerscharfer Analyst und Aufklärer denn reiner Beobachter. Er hat eine Meinung und mit der hält er nicht hinterm Berg. Er kritisiert offen und greift an. Dabei bewältigt der Wortartist bravourös den Balanceakt zwischen Besserwisserei und Unterhaltung: Seine Beschreibungen kommen nicht mit dem erhobenen Zeigefinger einher, sondern werden auf einer sanften Welle der Poesie angespült – ohne natürlich das Ziel zu verfehlen. Sydow ist ebenso klug wie strukturiert. Er begebe sich vor dem Zuhörer auf die Couch seines Therapeuten, weil er sich viel zu viele Sorgen mache um die Welt und den Menschen an sich, sagt er. Sein Wissen um der Erde Not teilte er gerne mit. Er erklärte zum Beispiel, was es heißt, in einer fortschrittlichen Welt zu leben, in der es Energiesparlampen gibt, die in Ländern produziert werden, in denen große Teile der Bevölkerung nicht einmal Strom haben. Der Mensch sei zu bequem, um sich eine Meinung zu bilden: "Der Aufwand ist zu groß, um Lüge und Wahrheit voneinander zu trennen." Er echauffiert sich über verdummende Fernsehprogramme, entblößt hippe Management-Seminare als Abzocke und politische Korrektheit als eine Farce, hinter deren Begrifflichkeit sich vor allem die Deutschen gerne versteckten. Die Sprache verändere sich selbst, sie unterliege einem dynamischen Prozess, wie er am Wort "Neger" festmacht. Ein Wort, das heute zu Recht nicht gesagt werden dürfe, aber Kinderbücher deswegen umschreiben? "Nicht die Worte sind verletzend, sondern die Gedanken dahinter", schließt er daraus. Allein im vergangenen Jahr räumte er rekordverdächtige neun deutsche Kabarett- und Kleinkunstpreise ab. Bei der ZDF-Satiresendung "Die Anstalt" war er auch schon, obwohl, wie er gesteht, am liebsten live auf der Bühne steht. Auf der Bühne im Lügder Klostersaal standen bereits alle Größen des Kabaretts – mit René Sydow ist ein neuer markanter Mosaikstein dazugekommen! Schon jetzt darf man sich auf sein gerade entstehendes zweites Solo-Programm freuen!
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Sprachfunkelnde Geistesschärfe
Kabarettist René Sydow als messerscharfer Analyst und Aufklärer
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