LOCCUM (jan). Störtebekers Mannen sind über Loccum hergefallen – die Geschichte des Freibeuters dient in diesem Jahr der Kirchengemeinde Hannover-Wettbergen als Grundlage für ihr Abenteuer-Camp in der Loccumer Heide. Zum 37. Mal erleben Kinder dort eine Woche jenseits des Alltags.
Wenn das Lagerfeuer in der Abenddämmerung lodert, dann versammeln sich alle zum Großen Rat. Lieder werden dann gesungen und die haben es in sich. Immer wieder ertönt ein begeistertes "Kopf ab!". Kein Wunder, schließlich besteht ein Teil der sieben Gruppen, in die die 100 Kinder aufgeteilt sind, aus Gegnern des berüchtigten Freibeuters Störtebeker. Andere wiederum sind seine treuen Gefährten. Insgesamt sitzen sich Vertreter der Hanse, der dänischen Königin, des englischen Königs, solche von Gödeke Michels und auch des gefürchteten Henning Manteufel aber ziemlich friedlich gegenüber – trotz der wiederholten Rufe nach Blut. "Das ist richtig cool hier im Lager", raunt ein Mädchen aus der dänischen Schar seiner Nachbarin zu. Was sie richtig cool findet, kann sie wenig später in der "Lob- und Mecker-Runde" loswerden. Das sorgt für Frieden, da lässt jeder, der mag, den Tag Revue passieren und sagt, wer oder was toll war und was doch noch anders gemacht werden sollte. Die Störtebeker Festspiele, die sie an diesem Tag in der Loccumer Heide ausgetragen haben, bekommen großes Lob. Lob gibt es auch für Anna Schwarz und Benjamin Irvin. Allerdings entgehen die beiden Lagerleiter kurz darauf nur mit Mühe dem Schicksal im Käfig zu landen. Schließlich haben sie nicht das von den Kindern eingeforderte Lied gesungen. "Ausrede!" schallt es über den Platz, als Schwarz und Irvin meinen, dass sie doch so viel zu tun haben und gar nicht zum Texten gekommen sind. Im Käfig – nahezu ausbruchsicher aus alten Paletten zusammen genagelt – landen wenig später einer der Jungen und ein Teamer. Unzivilisierte Geräusche hat der eine beim Großen Rat von sich gegeben, nicht mitgesungen hat der andere. So bereitwillig, wie die beiden in den Käfig klettern, entkommen sie kurz darauf mit vereinten Kräften: mit gut genutzten Hebelkräften legen sie ihr Gefängnis auf die Seite und geben Fersengeld. Freibeuter-Leben also. Laut und lustig, rau und wild, mitten in der Natur und das bereits zum 37. Mal. Das erste Ferien-Camp richtete damals Bert Schwarz aus. Seinerzeit war er Pastor in Hannover-Wettbergen und wollte Stadtkindern eine abenteuerliche Woche auf dem Land bieten. Irgendwann hat er die Lagerleitung abgegeben. Statt seiner übernahmen Irvin, der aus Wettbergen vor Jahrzehnten nur einmal der Liebe wegen zu dem Camp kam, und Bert Schwarz Tochter Anna die Leitung. Ein eingespieltes Team sind sie, haben das wilde Gewusel auf dem Gelände fest im Griff, lassen manches durchgehen und bestehen andererseits auf den festgelegten Regeln. Dazu gehört, dass beim Großen Rat jedem zugehört wird, der sich zu Wort meldet. Dass Müll nicht in die Natur geworfen wird. Und dass alle achtsam miteinander umgehen. Darauf wird gepocht und so entsteht innerhalb einer Woche eine große Gemeinschaft aus einer bunt zusammen gewürfelten Truppe. Das Gelände in der Loccumer Heide, zu dem Bert Schwarz 1978 erstmals mit den Kindern zog, ist auch heute noch der feste Platz für das Camp. Etliche Bauten sind dort in den Jahrzehnten entstanden. Das große hölzerne Tor etwa, das rechts und links von Türmen flankiert wird. Ganz gleich, ob die Reise in den Orient geht, ob König Artus mit von der Partie ist, die Schatzinsel entdeckt, Störtebeker geköpft oder – wie im kommenden Jahr - die Drei Musketiere ihre Abenteuer erleben werden, dienen Tor und Türme als Kulisse. Im Rundhaus haben die Kinder tags zuvor ein Freibeuter-Konzert geboten bekommen. Das hätte eigentlich auch am Lagerfeuer stattfinden sollen. Sturm und Regen machten dem aber einen Strich durch die Rechnung. Ansonsten ist das Lager mittlerweile regelrecht fürstlich ausgestattet. Stolz führt Irvin den neuen Toiletten-Container vor, in den die Teamer erst kurz vor Beginn des Camps die Trennwände eingesetzt haben. In den Anfängen, erzählt er, gab es lediglich vier Plumpsklos. Dagegen hätten die Kinder in späteren Jahren aber gemeutert. Ein wenig Luxus wird also auch im ursprünglichen Leben und im Abenteuer gefordert. Aus Wettbergen und aus der "großen Stadt" kommen heutzutage längst nicht mehr alle Kinder, die sich dort in der Heide treffen. Aus Garbsen, Braunschweig, Nienburg und sogar aus Österreich sind dieses Mal Kinder dabei. Das komme, sagt Irvin, weil die Kinderzahlen in Wettbergen vor einigen Jahren weniger wurden. Da öffneten sie das Angebot für andere – und das wird gerne angenommen. Dass der Kern aber immer noch in der hannoverschen Gemeinde steckt, wird dann deutlich, wenn wieder einmal eine Taufe ansteht. Eigentlich in jedem Jahr, erzählt der Lagerleiter, würden ein oder zwei Kinder getauft. Dieses Mal ist es der zehnjährige Camillo und wieder steht die Loccumer Klosterkirche dafür zur Verfügung. Dorthin wird Camillo mit langem Begleitzug geführt. Er selbst darf auf einem Pferd reiten. Einen Blumenkranz trägt er auf dem Kopf. Das Taufwasser aus der Quelle im Klosterforst holen, die Geschichte des Loccumer Klosters erzählt bekommen, schließlich die Taufe selbst am 400 Jahre alten Taufbecken – die Zeremonie ist stimmungsvoll und wirkt anscheinend so nachhaltig, dass sich immer wieder jemand meldet, der auch auf diese Art getauft werden möchte. Irvin selbst hat genau das 2007 gemacht. Als Teamer ist er zwar schon seit 1996 dabei – getauft war er aber nicht. Irgendwann, sagt er, sei das Bedürfnis dann da gewesen. Jetzt freue er sich darauf, dass sein kleiner Sohn irgendwann groß genug sei, um selbst bei dem Camp mitzumachen. Und vielleicht eines Tages auch auf einem Pferd durch das Klostertor zu reiten, um getauft zu werden. Kinder ab acht Jahren, die selbst einmal Abenteuer im Loccumer Ferien-Camp erleben möchten, bekommen weitere Informationen unter www.zeltlager-loccum.de. Foto: jan