Detmold (vfc). Nicht nur Kinder spielen. Auch Erwachsene haben ihren Spieltrieb. Sie verlegen ihn allerdings in dafür zweckgebundene Räumlichkeiten, die "Spielotheken"– Kasinos mit Glücksspielautomaten. Die Lippische Gesellschaft für Kunst (LGfK) stellt mit der Ausstellung "WortSpielZeuge" im Detmolder Schloss unter Beweis, dass auch ein Ausstellungsraum für Kunst zur Spielwiese werden kann. Mit den Wortspielautomaten von Hans Magnus Enzensberger wird der Betrachter, ganz gleich ob jung oder älter, zum kreativen und vergnüglichen Wortglücksspiel animiert. Poesie ohne Papier, Literatur nicht nur zum Lesen, sondern zum Anfassen, zum Hören, zum Verschieben, zum selbst Gestalten. Eine Ausstellung, die mit einem schalkhaften Augenzwinkern einen verspielten Zugang zur Sprache und Literatur freilegt.
Hans Magnus Enzensberger ist einer der wichtigsten Intellektuellen der Gegenwartsliteratur. Ein ungemein vielseitiger Schriftsteller, Dichter, Essayist, Publizist und Wortjongleur. Als "unbezähmbare Lust" beschreibt der 1929 in Kaufbeuren geborene Literat sein Spiel mit Worten, sie auf ihren Sinn zu prüfen, sie zu drehen und zu wenden. In den 1970er Jahren entwickelte Enzensberger 18 Wortspielzeugmaschinen, die eine andere Form der literarischen Lektüre ermöglichen. Sie legen die Sprache als eine unterhaltende Trickkiste offen und sind damit weit mehr als Wortketten auf Papier. In Kooperation mit dem Literatur- und Musikfest "Wege durch das Land" zeigt die Lippische Gesellschaft für Kunst bis zum 23. August zehn der selten präsentierten Wortspielzeuge aus der Sammlung Würth. Erweitert werden sie durch zwei Enzensberger-Portraits des Malers und Grafikers Jan Peter Tripp. "Ein enger Freund des Schriftstellers," erläutert Dr. Brigitte Labs-Ehlert, Leiterin des Literaturbüros OWL. Dass er gegen jeglichen "Literaturzirkus" sei, weiß die Festivalleiterin über Enzensberger zu berichten. Beide Künstler hätten sich aber gerne auf die Kombination zwischen Kunst und Lesung eingelassen. So las Enzensberger vergangenen Samstag im Rahmen des Festivals "Wege durch das Land" im Detmolder Konzerthaus; die Vernissage der Ausstellung fand einen Tag später in Anwesenheit beider Künstler statt. Die Auswahl aus dem 18-teiligen Automatenfundus für die Ausstellung in Detmold zeigt die gesamte Spannbereite des Zyklus’. Alle Objekte fordern den Besucher zu einer ebenso spielerischen, hintergründigen, wie anregenden Auseinandersetzung mit Worten, Texten und Doppeldeutigkeiten auf. Sprache und das einzelne Wort kann hier mit fast allen Sinnen wahrgenommen werden: gehört, gesehen, gefühlt. "Die Objekte faszinieren und laden zum langen Verweilen und Beschäftigen ein", so Almut Schmersahl, Vorsitzende der LGfK. Wie der Poesieautomat "Ricordi di Laura" (Erinnerungen an Laura): einem sechseckigen Pfeiler sind auf jeder Seite je 14 Tafeln mit Gedichtzeilen eingeschrieben. Sie umfassen jeweils ein Sonett aus den "Canzoniere", eine Gedichtsammlung mit 366 Sonetten des italienischen Renaissance-Lyrikers Francesco Petrarca an seine Geliebte Laura. Die einzelnen Sonettverse können über das gesamte Hexagon verschoben werden, so dass immer wieder neue Gedichtzeilenkombinationen entstehen. Das Schriftbild zeigt dabei an, ob es sich um eine Original- oder erdrehte Neufassung handelt. Hochkultur und Humor liegen hier nah beieinander und der Wortautomatenspieler wird eingeladen, "aktiv mit Sprache umzugehen und selbst literarisch tätig zu werden", so Dr. Labs-Ehlert. Der "Weltempfänger" hingegen entwickelt eine auditive Weltkarte der Literatur: ein Radio, optisch einer vergangenen Zeit entsprungen, das auf den unterschiedlichen Senderpositionen Literaten aus aller Welt sendet. Sie lesen Auszüge aus ihren eigenen Werken. Für den Automaten "Schlangenbeschwörung" spielt Enzensberger mit der Variation von ins Unendliche laufenden Wortschlangengebilden. In einem Holzkasten läuft über zwei runde Scheiben eine rote Seilschlange über ein Textfeld. Mittels Kurbel kann die Seilschlange vergrößert oder verkleinert werden, so dass einzelne Textpartikel des Schlangensatzes freigelegt oder verdeckt sind. Ist das Kunst? Vielleicht eher ein Grenzgang zwischen Sprache, dem Spiel mit ihr, mit Nonsens und Ästhetik. In jedem Fall wecken Enzensbergers Wortspielzeuge die Lust an der Sprache. Der Spieltrieb ist geweckt. Nicht nur bei Erwachsenen. Die Wortautomaten haben auch einen "enorm hohen Wert für Kinder und Jugendliche", betont Almut Schmersahl. Hier erschließt sich Sprache und Literatur auch ohne weitschweifige Erläuterungen – ganz unmittelbar über sich selbst und im spielerischen Umgang. Es muss ja nicht immer der Ernst im Ausstellungsraum herrschen.