1. Flucht vor dem Terror

    Ägyptische Familie findet Zuflucht in Lemgo

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    Lemgo (nr). Der Weg nach Lemgo war lang; ein zäher Fluss aus Angst und Unsicherheit, Hoffen und Bangen. Der Aufbruch in ein neues Leben wog schwer für eine ägyptische Familie. In Lemgo haben sie vor zwei Jahren eine Bleibe gefunden – vorläufig. Als koptische Christen in einem muslimisch geprägten Land können sie nicht zurückkehren in ihre Heimat. Dort wurden sie gedemütigt, massiv bedroht und angegriffen. Verarbeitet haben sie das Geschehene noch immer nicht, es wird wohl ein Teil ihres Lebens bleiben. "Aber wir sind in Sicherheit", sagt Vater I (Anm.: Namen von der Redaktion geändert). "Es ist ein gutes Gefühl, sich sicher fühlen zu können."

    Der Umsturz in Ägypten 2013 veränderte das Leben der Familie I. Es begann im kleinen Rahmen. Die damals 11 Jahre alte A wurde in der Schule in Kairo plötzlich von muslimischen Lehrern gedemütigt, ihr Vater in die Schule zitiert, weil seine Tochter angeblich abgeschrieben hatte. "Dabei haben sie mich von der Prüfung ausgeschlossen, bevor die überhaupt begonnen hatte", erzählt A. "Immer wieder sind wir bedroht worden. Auch mit Waffen. Wir sollten der Schule fern bleiben." Außerhalb der Schule waren Beschimpfungen und Bedrohungen an der Tagesordnung. "Wir durften nicht mehr mit anderen Kindern spielen. Sie haben gesagt, wir wären dreckig, wegen unserer Religion", fährt A fort. Auf dem Balkon der Familie wurde ein Lautsprecher installiert, der die Gebete aus der Moschee über die Stadt trug. Der Geräuschpegel war am Wochenende so groß, dass die Familie die Wohnung verlassen musste, um irgendwo ungestört die Nacht verbringen zu können. Es begann eine Zeit der Demütigungen und des Schreckens. A weint, als sie weitererzählt. Es sind Erinnerungen, die sich tief in ihre Seele eingebrannt haben. Da war der Tag, als sie aus der Schule kam und ihre Mutter auf dem Boden liegend vorfand, die ihre langen, abgeschnittenen Haare in der Hand hielt und weinte. Anhänger der Muslimbrüder waren in die Wohnung gestürmt, hatten sie niedergeschlagen und ihr die langen Haare abgeschnitten. "Es sollte die Strafe dafür sein, dass wir Christen kein Kopftuch tragen", erklärt Mutter B. "Meine Tochter bat mich danach, dass wir Kopftücher tragen sollten, aber es ist nun einmal nicht unsere Religion." Kurz darauf verlor der Vater, ein Bankmanager, seine Arbeitsstelle; ohne Grund, ohne Erklärung. Dann der Morgen, als der Schulbus mit Kindern der koptischen Gemeinde zur Schule fuhr: "Plötzlich knallte es um uns herum und die Scheiben im Bus zersplitterten und fielen auf uns", erzählt A. "Wir haben uns auf den Boden geworfen und die ganze Zeit nur geweint, als der Bus immer weiter beschossen wurde. Wir hatten solche Angst." Für Familie I gab es keine andere Möglichkeit, als zu fliehen. Irgendwohin. Egal wohin, nur das Leben der Kinder und das eigene in Sicherheit wissen und nur das mitnehmen, was sie tragen konnten. Die erste Zuflucht bot Georgien. Sechs Monate musste die Familie ausharren. Zum Nichtstun verurteilt, immer mit der Angst, wieder zurückgeschickt zu werden. Schließlich konnten sie nach München fahren und dort einen Asylantrag stellen. Über Dortmund und das Erstaufnahmelager Schöppingen kamen sie schließlich vor zwei Jahren nach Lemgo. Seitdem ist viel passiert. Inzwischen hat die Familie eine kleine Wohnung beziehen können. A hat innerhalb eines Jahres so gut Deutsch gelernt, dass sie schnell auf ein Gymnasium wechseln konnte. Die Sprachbarriere ist auch für die Eltern mittlerweile längst nicht mehr so hoch. Die ersten Sprachkurse haben sie erfolgreich absolviert. "Familie I ist ein ganz wunderbares, positives Beispiel für eine erfolgreiche Integration", ist Elke Sahin von der Stadt Lemgo überzeugt. Sie kümmert sich als Sozialarbeiterin um die Flüchtlinge und begleitet diese Menschen in dem neuen, meist ungewissen Alltag. "Diese Menschen hier", fügt sie hinzu, "haben sich so sehr gewünscht, sich zu integrieren – und es letztendlich geschafft." Was die Zukunft bringt, wissen sie nicht. Der Asylantrag läuft immer noch. Ob sie jemals in die Heimat zurückkehren möchten? "Heimat ist da, wo Sicherheit ist, sagt A. Ich will nie wieder nach Ägypten zurück." Ob sie inzwischen ein Stück weit angekommen sind in einer neuen Heimat? "Ich fliege", strahlt M. "Hier kommen wir endlich wieder zur Ruhe." Die Familie hat viel verloren; beinahe ihr komplettes Leben, nicht aber ihre Träume. Es sind keineswegs hochgeschraubte, dafür bescheidene Wünsche: eine geregelte Arbeit, er gerne in der Altenpflege, sie als Köchin. A möchte irgendwann Medizin studieren, anderen helfen können. Alles aus eigener Kraft heraus – wenn sie bleiben dürfen in einer neuen Heimat.

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