Lemgo (nr). Das Hoffnungsmodell "Informationsgesellschaft"– ein fairer Fluss von Informationen ohne Datenmissbrauch – ist das praktizierbar? IT-Sicherheitsexperte und Gründungsmitglied des Chaos Computer Clubs Andy Müller-Maguhn hat in seinem Vortrag "IT-Sicherheit im Jahre 2 nach Snowden: Datenabflüsse, Risikowahrnehmung und Interessenkonflikte"über Hintergründe und jüngste Entwicklungen zum Thema "Datensicherheit" referiert.
Nicht erst seit den Enthüllungen von Julian Assange und Edward Snowden ist das Bewusstsein für Datensicherheit und Datenmissbrauch geschärft. Das ganze Ausmaß von Datenmissbrauch ist jedoch wohl nur Experten bekannt. Wer ahnt schon, dass Internetplattformen wie "Facebook" ganze Profile der Nutzer anlegen. Als "target" (Ziel) werden die Nutzer dort bezeichnet. "Es gibt keine Belanglosigkeiten im World Wide Web", sagt Müller-Maguhn. "Jeder noch so kleine Hinweis auf die Interessen der Internetnutzer wird gespeichert und ausgewertet – als reine Profilerstellung oder zielgerichtete Platzierung von Werbung. Solche Unternehmen leben davon, die Daten psychologisch auszuwerten." Der gläserne Mensch also? Aber der IT-Sicherheitsexperte will keine Angst vor Datenraub oder lückenloser Überwachung schüren. Wichtig sei es, sensibler für das Thema zu werden. Viel weiter vom Nutzer entfernt, aber sehr interessant erklärt, waren die Ausführungen über die Praktiken des US-Geheimdienstes NSA, über das Abgreifen von Daten und den Angriff auf Systeme. Die Datenmengen sind schier unübersichtlich hoch. Da sind die jüngsten Hacker-Angriffe auf die Rechner des Bundestages oder die neuesten Enthüllungen über das Ausspionieren französischer Staatschefs durch den US-Geheimdienst nur die Spitze des Eisbergs. Für Müller-Maguhn aber kein Grund zur Besorgnis: "Es ist eine verdammt gute Botschaft, dass Kryptographie funktioniert", glaubt er und verweist auf Edward Snowden, der sich geschickt allen Zugriffen und Überwachungsmethoden entziehen konnte. Diese Verschlüsselung von Daten ist wichtig, aber längst noch nicht ausgereift. Unzählige Cyberattacken auf Unternehmen sind bekannt, die Dunkelziffer der nicht angezeigten digitalen Angriffe weitaus höher, da die Sorge um Imageschäden und Industriespionage im Vordergrund steht. Der Vortrag zum Thema Datensicherheit und Datenschutz fand im Rahmen der Reihe "Gespräche im Lindenhaus" des Instituts für Kompetenzentwicklung (KOM) der Hochschule OWL statt und war Treffpunkt für rund 100 Zuhörer, die sich im Anschluss an den Vortrag in einer Diskussionsrunde noch weiter mit dem Thema auseinandersetzen konnten. Der Bedarf an Informationen im Bereich Datensicherheit wächst, sind doch die meisten Cyberattacken längst maßgeschneidert und zielgerichtet. Für Müller-Maguhn verspricht die Zukunft gesellschaftlich eine interessante Zeit zu werden. "Die Angreifer sind schwer zu fassen und bleiben häufig unerkannt. Im schlimmsten Fall gehen die Cyber-Angriffe zu Lasten eines Unschuldigen. Im großen Rahmen, zwischen Staaten, nennt man das "Angriff unter falscher Flagge"." Andy Müller-Maguhn ist einer der führenden Köpfe des Chaos Computer Clubs, steht in ständigen Kontakt mit Wikileaks-Gründer Julian Assange, wertet zur Zeit für den "Spiegel" die Unterlagen von Edward Snowden aus und soll als Berater der Bundesregierung die Hacker-Angriffe auf die Rechner des Bundestages untersuchen.