LOCCUM (jan). Vieles ist aus der Geschichte des Klosters Loccum bekannt. Manches gibt aber auch Rätsel auf. Wie etwa die Geschichte der Pilgerscheune. Was denn die Pilgerscheune sei – diese Frage habe er in den vergangenen Wochen ziemlich oft gehört, sagt Karsten Sierk. Für ihn, der den Titel Klosterförster trägt, war das eigentlich immer klar: die alte riesige Scheune aus Sandsteinen auf dem Klostergut ist schließlich das Gebäude, das der Klosterkirche am nächsten ist. Und dass sie den Namen Pilgerscheune bereits seit Jahrhunderten trägt, das sollte im Dorf Loccum doch auch bekannt sein.
Dem war aber anscheinend nicht so und so machte sich Sierk auf die Suche nach mehr Informationen. Auslöser dieser kleinen Recherche, die ihn in die Bibliothek des Klosters brachte, ist das Erdbeerfest, das in dieser Scheune am Sonnabend, dem 13. Juni, 18 Uhr, und Sonntag, dem 14. Juni, 10.30 Uhr, gefeiert werden soll. Der Verein ‚Halle für alle’ will dann in Mönchskutten seine Klosterschänke betreiben, die Pächter des Klostergutes, Ulrike und Hans Werner Eggers, bereiten Köstlichkeiten mit Erdbeeren von eigenem Feld vor, Live-Musik wird es geben, einen Gottesdienst von Loccums Pastorenehepaar Corinna und Joachim Diestelkamp und das Blasorchester der Freiwilligen Feuerwehr ist auch mit dabei. Und das alles in und vor der Pilgerscheune. Sierks Recherchen in der Bibliothek ergaben allerdings in erster Linie Fragen. Dass die Scheune ungefähr zu jenem Zeitpunkt gebaut wurde, als auch die Zehntscheune des Klosters entstand – vor rund 700 Jahren – steht außer Frage. Wozu sie allerdings gebaut wurde, darüber streiten sich die Gelehrten. Die Reste eines Schornsteins sollen bis zirka 1900 im Inneren vorhanden gewesen sein. Alle Geschichtsschreiber nahmen das als Zeichen dafür, dass der ursprüngliche Zweck des Gebäudes darin lag, Menschen in seinem Inneren zu beherbergen. Doch waren das tatsächlich fromme Leute auf der Wanderschaft, die als Pilger an Klostertüren klopften und freundlich aufgenommen wurden? Diente das Haus als Gasthaus? Oder waren Handwerker darin untergebracht, um ihrer Arbeit nachzugehen? Das ist nicht überliefert und wird wohl auch ein Rätsel bleiben. Die Annahme, dass die Scheune dem Kloster als Bibliothek diente, haben allerdings alle Geschichtsschreiber dem Reich der Legenden zugeschrieben. Allein schon aus dem Grund, dass zu Zeiten des Abtes Stracke um 1600 die Kloster-Bibliothek ganze 234 Bände umfasste. Dafür hätte auch ein kleines Gemach gereicht. Dass die Pilgerscheune nicht zu ihrem derzeitigen Zweck gebaut wurde, steht allerdings fest. Das Ehepaar Eggers nutzt die Fläche, um landwirtschaftliche Maschinen dort abzustellen. Für anderes ist die Scheune kaum zu benutzen, die beiden massiven Eichenböden, die ursprünglich einmal eingezogen waren, existieren schon lange nicht mehr und über dem neu eingezogenen Boden können sich Turmfalken und Fledermäuse nach Lust und Laune und ungestört tummeln. Die alten Dachböden sind vermutlich im 17. Jahrhundert herausgerissen worden. Ein Merian-Stich aus jener Zeit zeigt jedenfalls die Scheune ohne Dachstuhl. So soll sie rund 100 Jahre dort gestanden haben. "Schon erstaunlich", meint Hans Werner Eggers, "heutzutage stehen Häuser keine hundert Jahre mehr und damals haben sie so lange Zeit auch ohne Dach ausgehalten." Dass die Böden nicht die einzigen Veränderungen sind, die das Gebäude über sich ergehen ließ, ist auch an den Wänden zu sehen. Die großen Tore, die nun die Eingänge sind, wurden erst 1856 in die Stirnseiten gesetzt – ein Schlussstein zeigt diese Jahreszahl. Gotische Formen haben hingegen etliche der zugemauerten Fenster. Andere Fensteröffnungen wiederum sind jüngeren Datums und in manchen Laibungen sind Steine verwendet worden, die das deutlich belegen. Ob die Namen, die dort ebenfalls verewigt wurden, allerdings auf Grabsteine schließen lassen, ist fraglich. Doch welchem Zweck dienten sie sonst? Andere Steine weisen kloster-typische Riefen auf, wie sie auch neben dem Torhaus zu sehen sind. Entstanden sein sollen diese Riefen, weil Reisende früher nur unbewaffnet Einlass ins Kloster bekamen. Statt ihre Schwerter den Mönchen auszuhändigen, machten sie sie an den Steinen unscharf. Das Mauerwerk der Scheune muss im Lauf der Jahre aber auch eine zweite Schale bekommen haben – die äußeren vermauerten Fensteröffnungen sind innen nicht zu finden, stattdessen aber ebenfalls vermauerte Fenster, die nur dort zu erkennen sind. Fest steht bei dieser Scheune jedenfalls, dass sich ihre äußere Hülle seit dem Bau nur in Nuancen verändert hat. Dass sie viele Rätsel aufgibt. Und dass – sollte sie tatsächlich einst ein Gasthaus gewesen sein – diese Tradition beim Erdbeerfest für ein Wochenende wieder aufleben wird. Foto: jan