1. Auf der Suche nach dem Selbst

    Gefeierte Premiere der Richard-Wagner Oper "Tannhäuser"

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    Bielefeld (ame). Die Premiere des Tannhäuser am Stadttheater Bielefeld sorgte für ein gespaltenes Publikum, doch der große Jubel überwog am Ende die einzelnen Buhrufe. Wagner und die Erwartungshaltung im Publikum – da muss die Inszenierung entweder arg langweilen, um bloß nicht anzuecken oder es müssen Funken schlagen. Diese Inszenierung war eine echte Wunderkerze und die Grenzen des guten Geschmacks wurden nur mit einer einzigen Geste überschritten. Für die heutige Zeit ist das erstaunlich moderat. Wagners Tannhäuser bietet die Möglichkeit, die Schwierigkeiten eines Menschen aufzuzeigen, der sich weder in seinen Ausschweifungen wohl fühlt, noch auf Dauer das Gegenteil innerhalb einer entsprechend genormten Gesellschaft leben kann. Er kann nicht ohne und kann nicht mit – und das gilt ihm für beide Extreme. Venus steht hier für das ausschweifende Leben, Elisabeth für die Unverdorbenheit. Tannhäuser flieht erst Elisabeth, dann Venus. Als er Elisabeth erneut erobert, gesteht er seine Erfahrung mit Venus und wird von der Wartburg-Gesellschaft geächtet und auf Pilgerreise geschickt, um das Recht zu erhalten, erneut in den erlauchten Kreis aufgenommen zu werden. Die Frage stellt sich: Was hat Tannhäuser verbrochen? Wo liegt der Venusberg? Was hat er getan, dass sich andere so sehr über ihn erheben und das mit solcher Lust an der Verachtung, dass sie sich dadurch unbewusst schon wieder selbst erniedrigen? Und warum ist ausgerechnet Elisabeth diejenige, die nicht urteilt, sondern bedingungslos liebt? Sie sieht den Kern seines Wesens, liebt Tannhäuser so sehr, dass sie sich sogar opfert. Ob ihm das wirklich hilft, sei dahingestellt. Bei Wagner schon – denn dort kann er in Frieden sterben und muss die Hölle nicht mehr fürchten. In der Bielefelder Inszenierung sorgt ein winziges Detail dafür, dass man begreift, dass Tannhäuser – für was auch immer – vor allem sich selbst verzeihen muss, um weiterleben zu können. Elisabeths Liebe weist ihm dabei den Weg. Wolf Gutjahr hat ein Bühnenbild geschaffen, das – aus riesigen Buchstaben bestehend – die Welt darstellen soll. Spanplatten bilden die Wartburg und damit die Bühne des Lebens. Am Ende sieht Tannhäuser (István Kovácsházi) die Bühne im Kleinformat, hält sie in den Händen und sein Gesichtsausdruck zeigt ein Lächeln. Ihm geht offensichtlich ein Licht auf. Um zu erkennen, wo man sich befindet, muss man eben manchmal die Marsmännchenposition einnehmen und die Dinge mit Abstand anschauen. Nur so gelingt es Tannhäuser dann auch, sich selbst zu verzeihen. Müßig war letztlich damit der ganze Sängerwettstreit zum Thema, was denn wahre Liebe sei, denn wer sich selbst nicht liebt, kann sowieso nicht wahrhaft lieben und sucht im Gegenüber immer nur den Ausgleich für die eigenen Defizite. Als Bild war das ziemlich genial gemacht. Als Mensch verkörpert Tannhäuser die ganze Klaviatur der Gefühle und er kann alles sein, nur das eine nicht: Unfrei. Es ist letztlich unerheblich, worin sein Sündenfall bestand – dass er seine Schatten annehmen kann, bringt ihn ins Leben zurück. Dass Elisabeth nicht überlebt hat, ist in dem Zusammenhang ein wenig schade, aber Wagner wollte es so. In Bielefeld ist die "reine Jungfrau" durchaus experimentierfreudig, wagt sogar an Tannhäusers Joint zu ziehen, wie man durch die Videoeinspielungen von Thomas Lippik erfährt. Was Elisabeth in dieser Inszenierung wirklich rein macht, ist also allein ihre bedingungslose Liebe und ihre Bereitschaft, Tannhäusers Unangepasstheit zu verteidigen. Die edlen Ritter der Wartburg sehen aus wie Manager (Kostüme Katharina Weissenborn). Sie gehen im Frack und wenn sie Waffen tragen, wirken sie ein wenig komisch – was man spätestens dann als gewollt erkennt, wenn sie Wagner wie die "Ten Tenors" performen. Heutzutage noch mit Inbrunst "Heil, heil, heil dem Fürsten" zu singen, kann man ohne Bauchschmerzen weder bringen noch ertragen und so lächerlich uns das anmutet, so wurde es auch optisch präsentiert. Die Vorbereitungen zum Sängerwettstreit lieferte unter anderem eine multikulti Kopftuchmodenschau, von jüdischer Tragart über die im Islam bis hin zur deutschen Art à la Else Kling. Das war von Regisseur Jochen Biganzoli so konsequent zu Ende gedacht, dass es mehr war, als nur politisch korrekt und weit mehr als nur komisch – es zeigte recht deutlich, wie relativ Regeln und Normen sein können. Alles ist eben nur ein Teil dieser einen Matrix, die sich die Welt nennt. Irgendwo knallt man immer vor die Bande und ein Tannhäuser sowieso. Die Inszenierung war voll kleiner Hinweise dieser Art, die man erst dechiffrieren musste – das machte den Nachgang so interessant, denn es war zu viel, um alles gleich zu erfassen. Wem das alles zu sehr im Heute verankert war, hätte die Wahl gehabt, einfach die Augen zu schließen und auch dann noch wäre der Abend lohnend gewesen. Alexander Kalajdzic führte das Orchester in einen Wagner, dessen Süße blumig daher kam und nicht wie von Opium geschwängert. Die Schwere war die einer Nacht funkelnder Sterne und nicht die, eines drohenden Gewitters. Das ewige Zuviel, das Wagners Musik oft so schwülstig erscheinen lässt, war schlicht nicht vorhanden. Es gab nur Schönheit, nur reine Emotionen ohne Übertreibungen. So kann man Wagner auch spielen! István Kovácsházi sang als Tannhäuser in erster Linie mit einer fantastisch klaren Artikulation - bei ihm verstand man wirklich jedes einzelne Wort. Seine Stimme war jedoch in erster Linie kräftig und das ist nicht unbedingt erhebend oder mitreißend. Man hört dadurch zwar deutlich, aber man kann die Musik nicht fühlen, kann emotional nicht "mitgehen". Der Klang breitete uns keinen Teppich aus. Nun hat István Kovácsházi de facto eine sehr klangvolle Stimme. Doch leider nicht an diesem Abend. Hätte er in ein Mikrophon gesungen, hätte man den Techniker gebeten, die Höhen herauszunehmen und etwas mehr Hall hinzufügen. Evgueniy Alexiev gab den Wolfram von Eschenbach. Es gelang ihm absolut, diese Rolle mit Seele zu erfüllen - sowohl klanglich als auch schauspielerisch. Sarah Kuffner als Elisabeth war ebenfalls durchgängig "lebendig", ihr Mienenspiel wieder einmal hinreißend und ihre Stimme im Wechsel rein, schön, kraftvoll, lyrisch, also in allen Farben schimmernd. Julia Faylenbogen als Venus verfügt über genau das "beängstigende" Stimmvolumen, das man sich für diese Figur wünscht. Dramatik pur, aber dabei immer klangvoll. Im Zusammenspiel mit der Musik und dem wieder einmal großartigen Theaterchor und dem Extrachor (Hagen Enke) gab es letztlich nur gute bis sehr gute Leistungen. Wer also bereit ist, den Tannhäuser neu und dennoch gleichzeitig im Kern, also auf der psychologischen Ebene, Wagner-konform zu erleben, ist mit dieser Inszenierung gut beraten.

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