1. Zum letzten Mal "zu Seele" gehen

    Gasthof Niedersachsen schließt nach 167 Jahren / Große Abschiedsparty für die Gäste am 1. Mai

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    LOCCUM (jan). Fünf Generationen der Familie Seele haben in Loccum den Gasthof Niedersachsen betrieben. Zum 1. Mai schließt das traditionsreiche Gasthaus.

    Der Wolpertinger – ein Hase mit Reh-Geweih – hat schon an der Wand gehangen, als Friedlinde Seele vor 61 Jahren dort mit ihrem Mann angefangen hat, den Betrieb des Gasthofs zu führen. Den Kindern, die danach fragten, erzählt sie, sei immer gesagt worden, dieses Geschöpf sei im Loccumer Klosterforst erlegt worden. Ja, auch Christina Seele erinnert sich an diese Geschichte und daran, wie oft das Tier an der Wand bestaunt wurde. Viele weitere Erinnerungen haben Großmutter und Enkelin an ihre Jahre im Gasthof Niedersachsen, der in Loccum eigentlich nie so geheißen hat. Da ging man nämlich ‚zu Seele’. Kein Wunder, denn 167 Jahre lang war der Gasthof im Eigentum der Familie, fünf Generationen bewirtschafteten ihn.

    Damit ist zum 1. Mai Schluss. Dann laden die beiden Frauen noch einmal von 10 bis 14 Uhr zu sich ein, dann werden alle Getränke – solange der Vorrat reicht – zum Preis von einem Euro ausgeschenkt. Von Kunden wollen sie sich verabschieden. Wobei der Ausdruck ‚Kunden’ es eigentlich nicht richtig trifft. Beim Treff im Schankraum, am Tresen und am Stammtisch haben diese Kunden alle irgendwann gesessen, haben lustige Geschichten erzählt, haben Neuigkeiten aus dem Dorf ausgetauscht und mancher auch sein Herz ausgeschüttet. ‚Freunde’ ist für viele derjenigen, für die Christina und Friedlinde Seele am 1. Mai öffnen, eher der treffende Ausdruck.

    "Ich hätte den Gasthof weitergeführt", sagt Christina Seele. Gerne hätte sie das getan. Trotz der schweren Zeit, die sie durchmachen musste, nachdem ihr Vater Ulrich Seele im vergangenen Oktober vollkommen unerwartet im Alter von nur 54 Jahren starb. Christina Seele hat aber Multiple Sklerose, sitzt im Rollstuhl und ist in den Monaten nach dem Tod ihres Vaters an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit gekommen, als sie versuchte, den Betrieb weiterzuführen. Nur mit ihrer Großmutter könne sie es nicht schaffen und fest angestelltes Personal lasse sich auf Dauer nicht finanzieren. Sehr lange und sehr oft hätten sie überlegt, wie es weitergehen könne, sagen die beiden Frauen. Am Ende war die Lösung aber doch, den Gasthof zu schließen. Allerdings arbeiten Friedlinde und Christina Seele daran, einen anderen Betreiber zu finden, bei dem sie den traditionsreichen Gasthof in guten Händen wissen.

    Einerseits mit Tränen in den Augen, andererseits lachend, wenn sie alte Geschichten zum Besten geben, sitzen die Frauen in der Gaststube – und haben eine dicke Mappe mit alten Dokumenten auf dem Tisch. Die Kaufurkunde vom 18. Mai 1867 steckt dort etwa drin. Und auch davon, was in dem Gasthof so alles gemacht wurde, ist manche Information enthalten. Der Ausschank über die vielen Jahre ist die eine Sache. Landwirtschaft gehörte auch sehr lange zu dem Betrieb. Dass allerdings zu manchen Zeiten die Familie Seele sich zusätzlich als Bestattungsunternehmen verdingte und in den Räumen der Kneipe zeitweilig Mitglieder der Familie auch als Barbier und sogar als Zahnarzt gearbeitet haben, ist eher ungewöhnlich. Das alles ist lange vorbei und auch der Gasthof schließt nun. Auf einen Abschied mit vielen Menschen, die sie in all den Jahren begleitet haben, hoffen Christina und Friedlinde Seele.Foto: jan

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