1. Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen

    Bachs Matthäus-Passion in der Kirche St. Nicolai

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    Lemgo (pgk). Was für ein musikalischer Weltkultur-Gipfel, diese 1729 in Leipzig vollendete Matthäus-Passion, komponiert von Johann Sebastian Bach, diesem musischen Urgenie des Barockzeitalters mit einer – wenn wir verlässlichen biografischen Aussagen folgen wollen – tief im christlichen Glauben verwurzelten Persönlichkeit! Gleich im großflächig angelegten 8-stimmigen Eingangschor "Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen", durch den Passionschoral "O Lamm Gottes unschuldig am Stamm des Kreuzes geschlachtet" kunstvoll zur Neunstimmigkeit erweitert, wird diese musikalisch-theologische Verwobenheit in besonders überzeugender Weise als Grundstruktur des gesamten Werkes erkennbar.

    Da die Bach‘sche Matthäus-Passion grundsätzlich für zwei Vokalchöre und zwei Orchester angelegt ist, lädt sie zu Kooperationen unterschiedlicher Ensemble geradezu ein. Dieser Einladung sind nun die Kantoren Christoph Kuppler (Detmold) und Friedemann Engelbert (Lemgo) gefolgt und haben das Werk mit dem Vokalensemble St. Nicolai Lemgo, der Martin-Luther-Kantorei Detmold, der Vokal-AG des Marianne-Weber-Gymnasiums und dem Barockorchester "Le nuove musiche" zunächst in Detmold und anschließend in Lemgo aufgeführt, wobei Kuppler in der Lemgoer Aufführung die Gesamtleitung zu Beginn des 2. Teiles von Engelbert übernahm. Ausgesprochen empfehlenswert, solche Gemeinschaftsprojekte: Ermöglichen sie doch, den erheblichen Aufwand solcher Aufführungen zu realisieren und zu ökonomisieren und helfen darüber hinaus, ein freundschaftliches Klima zwischen Chören und deren Leitern zu entwickeln.

    Bachs Matthäus-Passion in ihrer gesamten Dimension und gewaltigen Komplexität in allen Details zu rezensieren, übersteigt die Möglichkeiten einer präzisen Werkreflexion und kann hier daher nur durch eine schlaglichtartige Beschreibung weniger ausgewählter Passagen ersetzt werden. Generell zeichneten sich die von Engelbert, aber auch Kuppler initiierten Interpretationen durch eine überzeugende Sensibilität und Ausdrucksstärke aus und die Tempi wirkten niemals überzogen, selbst nicht bei den zahlreichen Chören, die den Zorn der Volksmenge symbolisieren (Turbae), von Vokalensemble und Martin-Luther-Kantorei effektvoll interpretiert, immer wieder ergänzt durch die Reflexion oder die kraftvolle Ausstrahlung eines beeindruckend interpretierten Chorals bis hin zum dramatischen, begeisternd deklamierten "Sind Blitze, sind Donner in Wolken verschwunden".

    Von den Solisten Friederike Webel (Sopran), Thomas Riede (Altus), Florian Feth (Tenor, Evangelist), Philipp Brömsel (Bass, Christusworte) und Ralf Grobe (Bass, Arien), professionell mit Barockinstrumenten von "Le nuove musiche" begleitet, wäre an erster Stelle Feths umfangreicher, höchst anspruchsvoller Evangelistenpart hervorzuheben, den er phänomenal meisterte, ebenso wie seine Arien und Ariosi. Auch Brömels Christusworte überzeugten in besonderer Weise durch Tonschönheit und Sensibilität und die Altarie "Erbarme dich, mein Gott", die Thomas Riede zusammen mit der Solovioline zauberhaft und ergreifend gestaltete, gehörte zu den herausragenden Kleinoden der Passion und dieser Altus (Riede) sicherlich zu den solistischen Neuentdeckungen auf dem Sektor historischer Musik.

    Nach einem sensiblen Arioso beschlossen Chor und Orchester diese beeindruckende Passionsaufführung mit dem in gravitätischem Metrum erstrahlenden Schlusschor "Wir setzen uns mit Tränen nieder", der nach seinem Schlussakkord – mit bewusst widerborstig langem Vorhalt – statt in großem Schlussapplaus (Vermerk im Programmheft) in atemberaubender Stille mündete.

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