1. Namenlosen Menschen ein Gesicht geben

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    Detmold (ck). Das LWL-Freilichtmuseum startet am kommenden Mittwoch, 1. April, in die neue Saison. Unter dem Motto "Geraubte Jahre" gibt die diesjährige begleitende Sonderausstellung einen Einblick in den Alltag der Zwangsarbeit in Westfalen.

    Während des zweiten Weltkrieges leisteten über 13 Millionen Menschen in Deutschland Zwangsarbeit. In Westfalen waren es eine halbe Million, gut zehn Prozent der Bevölkerung. "Uns ist es wichtig, mit dem Themenjahr zu zeigen, dass auch Zwangsarbeit in Westfalen zum Alltag gehörte. Wir möchten diesen Menschen, die 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nur wenigen Zeitzeugen in Erinnerung sind, ein Gesicht geben", erklärt Museumsdirektor Prof. Dr. Jan Carstensen.

    Beim Gang durch die Foto-Ausstellung im Paderborner Dorf wird mancher Besucher überrascht sein, denn die großen Schwarz-Weiß-Fotos auf Barytpapier zeigen nicht schwer arbeitende, halb verhungerte Menschen, sondern lächelnde Frauen und Männern. Die meisten Männer tragen französische Uniformteile mit Kennzeichnung von französischen Uniformen. Bei den 20 Frauen fallen die unterschiedlichen Konstellationen der professionellen Aufnahmen auf. "Wenn man genau hinschaut, kann man spannende kleine Details entdecken. Mäntel und Jacken sind zu groß, Blusen nicht gebügelt, Uhren, Handtaschen und Schmuck wurden untereinander getauscht", erklärt der Ausstellungskurator Hauke-Hendrik Kutscher. Dass überhaupt diese Fotos gemacht wurden, liege darin begründet, dass die Zwangsarbeiter einen kleinen Lohn erhielten, den sie aber nicht in Essen umsetzten konnten, da sie als Zwangsarbeiter keine Lebensmittelkarten erhielten. Museumsdirektor Prof. Dr. Carstensen geht davon aus, dass die Zwangsarbeiter diese professionell angefertigten Fotos zur Beruhigung ihrer Familien machen ließen, nach dem Motto: "Mir geht es gut". "Sie erschaffen sich ein selbstbestimmtes Bild – so wollen sie sich sehen. Es ging den Menschen um die Bewahrung der Würde", erklärt Carstensen. An über 20 Geländestationen im Freilichtmuseum gibt die Sonderausstellung "Geraubte Jahre" weitere Einblicke in den Alltag der Zwangsarbeiter, über ihre Ernährung, Unterkunft und Arbeitsplatz und das Verhalten der Bevölkerung. Die Stationen sollen den Besuchern einen leichteren Zugang zu den Themen vermitteln. "13 Millionen Menschen mussten Zwangsarbeit leisten – wir wollen nicht, dass sie vergessen werden. Wir wollen ihnen eine temporäres Denkmal setzen", erklärt der Museumsdirektor. Das Themenjahr wird durch ein Begleitprogramm mit Führungen, Vorträgen und Workshops für Kinder und Erwachsene ergänzt.

    Bei den Sichtungsarbeiten der 2.200 Glasplatten aus dem Bestand des Rietberger Fotoatelier Kuper, das 2010 im Freilichtmuseum eröffnet wurde, war schnell klar, dass von den Porträts und Gruppenaufnahmen 94 Aufnahmen nicht so richtig zu den restlichen Aufnahmen passen wollten. Das Museum holte sich Hauke-Hendrik Kutscher ins Boot, der sich als Ausstellungskurator und Projektleiter dem Thema widmete und sehr schnell zu der These kam, dass es sich um Zwangsarbeiter handeln könnte. In der Forschung ist bekannt, dass Zwangsarbeiter manchmal professionelle Fotografen mit den Porträtaufnahmen beauftragten. "Uns ging es darum, diesen namenslosen Menschen ein Gesicht zu geben", so Carstensen. Gemeinsam mit Kutscher hat er ein kleines Netzwerk aus Spezialisten aufgebaut. "Wir haben uns vorgewagt in die Zeitgeschichte der Zwangsarbeit", sagt Carstensen weiter. Es werde in der Ausstellung nicht die Lagersituation, sondern die Arbeitssituation vorgestellt. Durch einen Aufruf in den Rietberger Medien erhoffte sich das Freilichtmuseum einen Teil der Identitäten der porträtierten Frauen und Männer aufklären zu können. Zu drei Kriegsgefangenen konnten nähere Informationen gewonnen werden, zu den Frauen gab es keine Rückmeldungen.

    Ein weiteres Projekt in diesem Jahr ist die Eröffnung von Haus Remberg im Juni. Damit startet das Freilichtmuseum ein ganz neues Projekt, denn in dem Gebäude im Sauerländer Dorf können Schulklassen von Juni bis September wohnen und einen Einblick in historische Arbeitsfelder und den Museumsalltag bekommen. Mit einem Tag der offenen Tür am 21. Juni bietet das Museum Schulklassen mit Mitmachaktionen die Möglichkeit das Programm zu testen. Mit ins Jahresprogramm gehören die "Tankstellenparty" am 15. Juli mit Live-Musik und der Freilichtgenuss am 12. und 13. September. Eine Gemeinschaftsveranstaltung des LWL-Freilichtmuseums mit dem Naturpark Teutoburger Wald/Eggegebirge und zuletzt noch der Museumsadvent vom 4 bis 6. Dezember.

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