Oerlinghausen (kd). Mit einer geschliffenen Rede voller Leidenschaft und Angriffslust stellte sich der Kandidat für die Bürgermeisterwahl in Oerlinghausen vor. Der Bundestagsabgeordnete Dirk Becker (48) war erst kurz zuvor von der SPD nominiert worden. Auch die Grünen und die Freien Wähler wollen den Kandidaten bei der Wahl am 13. September 2015 unterstützen.
Unter den mehr als 100 Zuhörern im Bürgerhaus verfolgte auch die Amtsinhaberin Dr. Ursula Herbort die Rede. 2004 waren beide schon einmal bei der Bürgermeisterwahl gegeneinander angetreten. Vorsorglich warnte Becker die Mitbewerberin: "Diesmal wird es etwas härter."
Und er hielt sich mit seiner Kritik nicht zurück. Das politische Klima in Oerlinghausen sei vergiftet, ja geradezu zerstört, formulierte er. "Der Rat wird behindert, wenn nicht missachtet." Die Auseinandersetzung der Bürgermeisterin mit den Stadtwerken bezeichnete er als "Possenspiel". Es könne nicht sein, dass den Stadtwerken, ein weithin anerkanntes Unternehmen, "ständig Stöcke zwischen die Beine geworfen werden." Es könne doch nicht Aufgabe der Stadt sein, "Heerscharen von Juristen zu beschäftigen." Hinter dem Vorgehen der Bürgermeisterin vermutete Becker schlicht Neid auf die Erfolge der Stadtwerke. "Als Bürgermeister werde ich unverzüglich alle unnötigen Klagen gegen die Stadtwerke zurückziehen", kündigte Becker an.
Die Amtsinhaberin machte er für "Gräben, immer neue Gräben" verantwortlich. Es gebe in Oerlinghausen kein Vertrauen mehr, keinen konstruktiven Dialog mit den Bürgern, kein faires Miteinander. Mittlerweile regiere auch im Rathaus das Misstrauen. "Wer anderer Meinung ist, muss sich juristische Spitzfindigkeiten gefallen lassen." "Doch wo ist das gemeinsame Wir? Ich suche es vergebens", rief Becker aus. Man müsse wieder zu einem fairen Umgang finden und Meinungen austauschen. "Wir müssen wieder zu sauberen, offenen Prozessen kommen, damit wieder Vertrauen herrschen kann." Das Ringen um demokratische Spielregeln lohne sich auch im Kleinen. "Versöhnen statt Spalten " dieses Motto von Johannes Rau nimmt auch Becker für sich in Anspruch. Bereits als Zehnjähriger hatte er bei einer öffentlichen Diskussion miterlebt, wie sich dieses Prinzip bewährte. Damals wurde sein Interesse an Politik geweckt. Mit 22 Jahren trat er in die SPD ein, engagierte sich später im Rat, wurde Fraktionsvorsitzender der SPD und ist seit 2005 direkt gewählter Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Erst im Dezember 2014 wählte in seine Fraktion zum Sprecher für Wirtschaft und Energie. Becker machte deutlich, dass ihn die tiefe Sorge um seine Heimatstadt umtreibe. Oerlinghausen brauche eine Alternative.
"Ich traue mir zu, überparteilich die Interessen der Stadt zu vertreten", erklärte er. "Wir dürfen nicht länger im Graben bleiben, wir müssen wieder zusammenkommen." Er werde deshalb auch nicht als "Parteisoldat" agieren, vielmehr begreife er sich als Motivator und Moderator "für ein neues politisches Zeitalter."
Auch die Grünen werden den Kandidaten Dirk Becker unterstützen. "Wir haben uns einstimmig für den gemeinsamen Kandidaten entschieden", erklärte Thomas Reimeier. Diese Zusage machte auch Ursula Flehmer im Namen der Freien Wähler. "Von den Bürgern höre ich schon seit Jahren, dass sich in Oerlinghausen nichts tut. Jetzt habe ich ein Argument, wie man das ändern kann", sagte sie.
Er setze ebenfalls auf einen Neustart, sagte der SPD-Fraktionsvorsitzende Günter Augustin. Denn wie allein der Umgang mit dem Haushalt zeige, befinde sich die kommunale Selbstbestimmung durch "das Demokratieverständnis der Nochbürgermeisterin" in einer ausgesprochen kritischen Phase.