BAD NENNDORF (mh). Was der Niedersächsische Landkreistag (NLT) im Vorfeld zu seiner 75. Landkreisversammlung bekannt gegeben hatte, glich einem Hilferuf an die Politik: Überfüllte Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes, intransparentes Verteilungsverfahren auf die Kommunen ohne angemessene Vorlaufzeit, Schwierigkeiten bei der Unterbringung vor Ort, ungeregelte Verantwortung für die Vermittlung deutscher Sprachkenntnisse, Probleme bei der gesundheitlichen Versorgung und beim Übergang in den deutschen Arbeitsmarkt: Für die niedersächsischen Landkreise sind die Herausforderungen der aktuellen Flüchtlingssituation ein großes Thema. Die jährliche Versammlung des NLT fand am Donnerstag und Freitag in der Bad Nenndorfer Wandelhalle statt. Der NLT ist die Vereinigung der 37 niedersächsischen Landkreise und der Region Hannover und vertritt als kommunaler Spitzenverband seine Mitglieder gegenüber Landtag und Landesregierung.
Man stehe uneingeschränkt mit voller Überzeugung hinter dem Grundrecht auf Asyl, erklärte der NLT am Freitag auf dem öffentlichen Teil der Veranstaltung. "Es ist ein Menschenrecht nicht nur für gute Tage, sondern sein Wert zeigt sich gerade in Krisenzeiten wie diesen", erklärte der Präsident des NLT, der Celler Landrat Klaus Wiswe. Zum öffentlichen Teil gestern waren mehr als 220 Vertreter aus Politik, Verwaltung und öffentlichen Leben anwesend, darunter Landtagspräsident Bernd Busemann und Ministerpräsident Stephan Weil.
Einstimmig beschloss die Versammlung tags zuvor am Donnerstag intern eine dreiseitige "Bad Nenndorfer Erklärung zum Asyl- und Zuwanderungsrecht". Eine Differenzierung zwischen Asyl und Zuwanderung sei geboten, heißt es in der Erklärung. Die Umsetzung des Asylbewerberleistungsgesetzes bilde eine große Herausforderung, erklärte NLT-Präsident Klaus Wiswe am Freitag in der vollbesetzten Wandelhalle. Änderungen auf allen staatlichen Ebenen seinen notwendig, denn die Bewältigung der Folgen von weltweitem Krieg und Vertreibung könne nicht allein die Aufgabe deutscher Kommunen sein. Die Erklärung richtet sich daher auch an die EU, die Bundesrepublik sowie das Land Niedersachsen als ersten Ansprechpartner der Kommunen. Nachhaltig forderte Wiswe vom Land, die Kommunen nicht mit den finanziellen Folgen der Flüchtlingswelle allein zu lassen. Werde die Kostenpauschale des Landes nicht auf deutlich über 10 000 Euro angehoben, müssten die Landkreise, die Region Hannover und die kreisfreien Städte in diesem Jahr 120 bis 200 Millionen Euro aus eigenen Mitteln für diese Aufgaben aufbringen. Zudem fordern die Kommunen das Land in ihrer Erklärung auf, die Zuweisungspraxis so transparent und frühzeitig wie möglich zu gestalten. Der NLT unterstützt den Kurs von Innenminister Boris Pistorius, sich auf diejenigen Asylbewerber zu konzentrieren, die eine realistische Chance im Asylverfahren haben. Wiswe forderte, Westbalkan-Flüchtlinge möglichst gar nicht erst auf die Kommunen zu verteilen. Auch die Praxis der Rückführung abgelehnter Asylbewerber binde in erheblichem Maße Ressourcen. Die niedersächsische Erlasslage gehöre daher nach Auffassung des NLT auf den Prüfstand. Schnellere Asylverfahren seien zudem gefordert.
Neben der Flüchtlings- und Asylpolitik standen weitere Themen auf der Tagesordnung. Die Landkreise seien bereit, Verantwortung für die Gestaltung des ländlichen Raumes zu übernehmen. Auch Landrat Jörg Farr unterstrich dieses in seinem Begrüßungswort. "Die Landkreise und Gemeinden sind in der Lage, Probleme selber zu lösen, sie benötigen dabei Hilfe und Unterstützung des Landes. Sie brauchen aber auch die Freiheit zum Handeln", hob er hervor und verwies auf die gelungene Umsetzung des Projektes "Neubau Klinikum Schaumburg". In Sachen Breitbandausbau forderte er vom Bund, zugesagte Versprechen einzuhalten, wenn es um die Umsetzung vor Ort gehe. "Wir brauchen nachvollziehbare Aussagen, wann seitens des Bunds und der EU mit welchen Förderprogrammen zu rechnen ist", erklärte auch Klaus Wiswe in seiner Ansprache. Zudem unterstützt Klaus Wiswe die Forderung des Präsidenten des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, die kommunale Ebene spätestens ab dem Jahr 2018 um weitere fünf Milliarden Euro zu entlasten. Das Geld müsse in den Haushalten der Gemeinden, Städte und Landkreise tatsächlich ankommen. Positiv würdigte Wiswe zudem in seiner Ansprache die mit der Landesregierung erzielte Übereinkunft zur Abgeltung der Kosten für die Umsetzung der Inklusion in der Schule. Ein großes Problem für die Landkreise, Städte und Gemeinden bilde die Fortführung der Schulsozialarbeit, erklärte er. Ministerpräsident Stephan Weil hob in seiner Ansprache hervor, dass die niedersächsischen Landkreise in aller Regel handlungsfähig und leistungsfähig seien. Grundlegenden Änderungen in den bestehenden Strukturen erteilte er eine Absage, dennoch gebe es in vielen Bereichen durchaus Diskussionsbedarf und unterschiedliche Meinungen. "Es wäre auch langweilig, wenn Land und Landkreise im Zustand vollendeter Harmonie diskutieren würden", erklärte er augenzwinkernd und versprach beispielsweise die Anregungen des NLT in Sachen Landes-Raumordnungsprogramm genauer anzuschauen. Foto: mh