1. Lasst uns so bleiben, wie wir sind!

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    Detmold (ck). "Was meinen wir, wenn wir von einem guten und sanften Tod sprechen?" Diese Frage hat der bekannte Radiomoderator Jürgen Wiebicke am Dienstagabend mit zahlreichen Gästen in der Aula der Alten Schule am Wall diskutiert. Grundlage des philosophischen Abends war Wiebickes Buch "Dürfen wir so bleiben wie wir sind? Gegen die Perfektionierung des Menschen – eine philosophische Intervention". In gewohnter Manier mischte er sich mit dem Mikrophon unters Publikum.

    Jürgen Wiebicke begann den Abend damit, dass er über den kürzlichen Tod des Literaturkritiker Fritz J. Raddatz sprach. Einen Tag später habe er in seiner Zeitung seines Vertrauens einen Nachruf gelesen, der Raddatz‘ Abgang fast als schön und irgendwie tröstlich hinstellte. "Der Tod wird ästhetisiert, er wird betrachtet als ein Kunstwerk. Es wurden Bilder vom Helden des glorreichen Abtritts inszeniert", erläuterte Wiebicke. Er erklärte seinem aufmerksamen Publikum, dass es um den Gedanken der Optimierung gehe: Nun also auch der Tod, auch der Abtritt solle gelungen sein.

    Während der gemeinsamen Diskussion mit seinen Zuhörern kommt Wiebicke zu dem Schluss, dass es zwei Theorien gibt: 1. Der Mensch ist nur ein Tier unter Tieren. Und zum anderen die Meinung der "Techno-Futuristen", dass der Mensch irgendwann mit dem Computer verschmelzen werde. Transhumanismus nennt man diesen Gedanken. "Den Mensch als Software zu sehen, die man immer verbessern kann?" Genau vor diesem Hintergrund stellt Wiebicke die Titelfrage seines Buchs: Dürfen wir so bleiben wie wir sind? Der Autor spitzt es im Gedankenexperiment zu: Würden Sie einen Schluck aus einem Wasserglas nehmen, der Sie unsterblich machen würde?" Die Zuhörer äußerten die unterschiedlichsten Sichtweisen zu diesen ethisch-moralischen Fragen der Perfektionierung des Menschen. Zu klären gelte es auch, ob wir unser technisches und pharmakologisches Wissen verbessern müssen, damit wir schöner, klüger und auch glücklicher werden. Was hat es also mit dem Wasserglas auf sich? Es gibt viele Bestrebungen das Leben zu verlängern. Bei Fadenwürmern ist es gelungen ihre Lebenszeit zu verzehnfachen, bei Labormäusen sei eine Steigerung um 80 Prozent möglich. Aber: Ist der Tod unser Feind und ist das Altern ein Prozess dem wir uns entgegenstellen und ihn womöglich rückgängig machen müssen? In diese Richtung gingen ja die Versprechen der Altersforschung, die an der Optimierung des Lebens arbeite.

    Dem Thema Unsterblichkeit hat Wiebicke ein eigenes Kapitel gewidmet. Spätestens nach der zweiten Generation verliere sich die Spur eines Menschen, egal ob er sich für unverzichtbar hält, sagt Wiebicke. Ständig würde diskutiert, ob dem Leid der Sterbenden etwas abgerungen werden könne. Oder ob man soweit geht, auf aktive medizinische Sterbehilfe zu setzen, wie es in Belgien und Holland praktiziert wird. Anders als die Vertreter der Sterbehilfe mit ihrem Slogan "Autonomie bis zum letzten Atemzug" meint Wiebicke, ein Sterbender büße durchaus seine Autonomie ein, aber eben nicht seine Würde! Nicht das Sterben sei das Tabu in unserer Gesellschaft, sondern der Tod. "Ich möchte nicht falsch verstanden werden, ich bin gekommen um auf die Widersprüche aufmerksam zu machen. Gesetzbücher werden der Größe des Prozesses nicht gerecht." Sterbehilfe sei eine sehr persönliche Angelegenheit in unserer säkularen Gesellschaft. Gesetze sind das eine – die Praxis des Lebens das andere. "Dem Tod und der Sonne darf man nicht in die Augen sehen", mit diesen Worten verabschiedete sich Wiebicke von seinem nachdenklichen und zum Teil kontrovers denkenden Publikum.

    Die Veranstaltung gehört zum Kulturprogramm zum 20-jährigen Bestehen des Detmolder Hospizvereins. "Es scheint, dass wir mit dieser Veranstaltung den Nerv der Zeit getroffen haben", sagte die geschäftsführende Koordinatorin Ilse Böinghoff angesichts der knallvoll besetzten Aula der alten Schule am Wall.

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