1. Das Drama fehlender Liebe

    Opernpremiere von "Salome" am Landestheater Detmold

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    Detmold (ame). Salome – war das nicht die Femme fatale, die in Folge einer narzisstischen Kränkung den Kopf des Propheten Johannes des Täufers verlangte? Und tanzte sie nicht den berühmten Tanz der sieben Schleier vor Herodes, ihrem Stiefvater, um diesen bösen Wunsch erfüllt zu bekommen? Wie kann man nur so sein, wie kann man nur so werden? So fragt man sich und denkt nicht weiter darüber nach. Und doch ist dies die Frage aller Fragen, die uns immer wieder umtreibt, wenn ein Verbrechen geschah. Sie lautet anschließend stets: Warum?

    In der Strauss-Oper "Salome" wird darauf keine Antwort gegeben. Man muss schon einiges zu den Hintergründen der Hauptpersonen wissen, um sich der Antwort nähern zu können und ein geringes Grundwissen, wie oben erwähnt, reicht hier wirklich nicht aus. Inszeniert ein Regisseur die Oper so, dass sich die vordergründige Handlung durch Bilder entschlüsseln lässt, ist das zusätzlich hilfreich, in seltenen Fällen ausreichend. In der Inszenierung von Kay Metzger ist diesbezüglich viel Gutes geschehen. Dass es nicht "schön" ist, wenn Salome den Kopf des Jochanaan durch die Gegend schleudert, steht auf einem anderen Blatt. Es darf aber kein Maßstab sein. Oscar Wilde, dessen Stück Strauss‘ Oper zugrunde liegt, schrieb: "Die Kunst aber dürfte nie populär sein wollen. Das Publikum müsste versuchen, künstlerisch zu werden." Wie alle absoluten Aussagen ist auch die Aussage bezüglich der Popularität nicht immer richtig, aber so gut wie. Ganz gewiss ist sie es bei "Salome".

    Kay Metzger holt die Handlung in die Jetztzeit. Der Palast des Königs scheint die Villa eines Mafiabosses zu sein. Das Bühnenbild zeigt den billigen Chic eines Reichtums, dessen Prunk effekthascherisch wirkt. Im Raum viel Türkis auf Schwarz – was erst reizvoll scheint, sieht man sich jedoch schnell leid. Ein kleiner Schmutzfleck wird hier nicht zur Patina, sondern zieht sofort hinab ins Schäbige. Das Bühnenbild (Petra Mollérus) ist also sprechend.

    Salome hat hier nichts von einer Femme fatale. Susanne Serfling spielt ein verzogenes Gör, das zwar kein Kaugummi katscht, aber man wartet geradezu darauf, dass es geschieht. Die Gesellschaft des Königs auf dessen Party: Männer in schwarzem Smoking, die Pistole unter dem Jackett, das Smartphone in der Hand. Sie sehen alle gleich aus; der Dresscode klont auf seine Weise.

    Salomes Jugend ist ihr Pfand – alle Wünsche werden ihr erfüllt. Nur Liebe und Geborgenheit eines intakten Elternhauses hat die junge Frau nie kennengelernt. Dass daraufhin, gekoppelt mit nicht vorhandener Erziehung und schlechten Vorbildern, der Wahnsinn eintritt, erfolgt nicht zwingend, aber es kommt öfter vor. Salome wirkt hier als Paradebeispiel. Dazwischen mischt sich die Lüsternheit des Stiefvaters. Nach dem Schleiertanz fummelt er am Reißverschluss seiner Hose, schließt etwas, das wohl geschlossen werden musste – na schön. Dann haben wird das jetzt auch verstanden.

    Jochanaan (James Tolksdorf) singt laut und angewidert: "Durch das Weib kam das Übel in die Welt". Nun – zumindest wollte es durch das Weib gern heraus. Oder durch das Geld. Oder die Macht.

    Das "nichts im Übermaß" am Tempel des Apollo hat auch heute noch Gültigkeit und Metzgers Inszenierung zeigt, wie ein solches Übermaß aussehen kann. Er vermischt hier das Übel des Missbrauchs mit weiteren Übeln der Jetztzeit. Herodes‘ Frau Herodias – Gritt Gnauck – trinkt einen Drink nach dem anderen. Wäre es kein Wasser, könnte sie bei der Menge nicht mehr stehen. Jochanaan wird per Fahrstuhl aus dem Keller in die Belle Etage gefahren – eine clevere Idee. Die "Jungs" des Königs setzen ihm in Actionfilmmanier zu. Sie fassen ihn also hart an. Seine Visionen vom Messias passen in dieses Umfeld wirklich nicht hinein. Vor allem passt er selbst nicht hinein und so ist es kein Wunder, dass Jochanaan den Reizen einer Salome nicht erliegen kann. Das arme Mädchen dauert ihn höchstens und er nennt sie verflucht. So ganz Unrecht hat er da nicht. Verflucht ist jedoch auch derjenige, der dem Wahnsinn die Schleppe trägt.

    Metzger ändert den Schluss der Handlung. Statt Salome sterben zu lassen, lässt sie den Hammer kreisen und erschießt den Stiefvater, die Mutter und alle, die sonst zufällig noch anwesend sind. Vielleicht ist das der größte Coup der Inszenierung, denn die Folgen einer anfänglichen Unterstützung des Bösen, hält die Weltgeschichte an Lehrstoff reichlich bereit – man kann es aber nicht oft genug deutlich machen, denn es wird so gern vergessen.

    Der Schleiertanz der Salome, also der Dreh- und Angelpunkt der Handlung, hatte nichts Erotisches. Statt dessen lässt Metzger Salome im rosa Tutu erscheinen und wer die Teletubbies kennt, muss an dieser Stelle kichern, wer sie nicht kennt – auch! Metzgers Humor ist schon sehr besonders, hat aber Biss. Dann öffnet sich die Aufzugtür und es erscheint Jochanaan wie Michael Jackson in einer Wolke aus Licht und Nebel. Salome tanzt für Herodes, aber sie träumt vom unerreichbaren Idol. Das war ziemlich genial gemacht!

    Die stimmliche Herausforderung an alle Beteiligten war heftig. Susanne Serfling legte eine geradezu nervtötende Unnachgiebigkeit in ihre Stimme. Was die Musik diesbezüglich vorgibt, ist eine Sache. Eine andere ist die Umsetzung. Serfling war hier wirklich der verlängerte Arm der Musik und wirkte wie ein quengelndes Kind. Nicht schön, aber stark! Dass Herodias hinter all dem die Strippen zieht, wird leider nicht so deutlich. Dafür aber die emotionale Unausgeglichenheit des Herodes. Paul McNamara ist als Herodes gesanglich und schauspielerisch grandios – und außerdem als einziger gut zu verstehen.

    Das Symphonische Orchester, unter der Leitung von Generalmusikdirektor Lutz Rademacher, hat immer dann seine glanzvollen Momente, wenn es um das Rauschhafte geht. Die enervierenden Spannungsmomente könnten jedoch beseelter wirken. Nun ist das aber unter den gegebenen Umständen zuviel verlangt. Ein Orchester müsste viel mehr Zeit haben, müsste als Klangkörper eine Homogenität entwickeln, die erst nach vielen (!) Jahren der Zusammenarbeit entstehen kann, um das in Perfektion leisten zu können, was speziell diese Musik fordert. Jede überzogene Anspruchshaltung wäre unfair. Das Orchester war am Premierenabend gut. Sehr gut? Nein!

    Die Buh-Rufe am Schluss, die sich mit Bravorufen mischten und Kay Metzger treffen sollten, sind nicht nachzuvollziehen. "Salome" ist keine Unterhaltung. Da muss nichts gefallen. Es muss stimmig sein und das war es – und zwar zu 100 Prozent.

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