Detmold (vf). Eine "deutsche Schweinerei" sei dieses letzte Bühnenwerk Mozarts. So zumindest urteilte die Schwester Kaiser Leopolds II. nachdem sie die Uraufführung 1791 von La clemenza di Tito (Die Güte des Titus) erlebt hatte. Dieser Opern-Schweinerei nahmen sich nun Studierende der Opernschule der Hochschule für Musik Detmold unter der Regie von Thomas Mittmann an. Ein mutiges und lobenswertes Unterfangen!
Was Mozart nach der Zauberflöte und parallel zum Requiem drei Monate vor seinem Tod innerhalb kürzester Zeit komponierte, hat so seine Tücken und Ansprüche. Zunächst ist da eine durchaus sperrige und langwierige Handlung zu knacken, gespickt mit großen Emotionen, Seelenstriptease. Ein Mann, Sextus, der aufgrund seiner sexuellen Hörigkeit zu einer Frau, Vitellia, immer tiefer in den seelischen Abgrund völliger Willenlosigkeit gerät. Um ihren persönlichen Rachefeldzug in die Tat umzusetzen, nötigt sie ihn, einen Brandanschlag zu verüben. Eine seelische Zerreißprobe für Sextus beginnt: Einerseits steht er im Bann Vitellias, andererseits ist er dem Herrscher Titus, dem der Anschlag gilt, in Freundschaft verbunden. Auch Herrscher Titus ist alles andere als eine psychisch ausgewogene Herrscherpersönlichkeit. Sein Konzept der Güte (La clemenza) ist nicht politisches Kalkül. Das durfte noch ein Titus in der Vorläuferversion von 1734 des Spezialisten-Duos für Barockoper: Pietro Metastasio und Antonio Caldara. Nicht so bei Mozart und seinem Textdichter Mazzolà. Hier entspringt Titus‘ Güte seiner Sehnsucht nach Anerkennung und Zuneigung. Dass er im Vorspann der Oper auf seine große Liebe Berenice, zu Beginn des 1. Aktes auf Servilia, zugunsten ihrer Liebe zu Annius, verzichtet und, obgleich man ihn kaltblütig ermorden wollte, auf Sanktionen gegen Vitellia und Sextus, speist sich aus seinem Bedürfnis des "Gut-sein-Wollens". Titus ist eben kein human idealisierter Souverän, sondern Mensch.
Mozarts Huldigungsoper für die Krönungsfeierlichkeiten Leopold II. zum König von Böhmen manifestiert wahrhaftig die Abgründe des Menschseins. Titus ist ein Psychodrama – mitnichten eine Festoper. Eben darin liegt die "Schweinerei". Menschliche Dramen spielen sich hier ab, die sowohl musikalisch als auch vokal und darstellerisch große Anforderungen stellen. Jede noch kleine Unebenheit in der Vokaltechnik, der schauspielerischen Fähigkeit oder auch der stimmlichen Kondition geraten so manch approbiertem Sängerdarsteller an namhaften Opernhäusern zum Untergang.
Regisseur Thomas Mittmann kam seiner jungen Sängerriege bei all diesen Herausforderungen entgegen. Teilweise zwar zulasten des Mozart’schen Konzeptes, aber immer zugunsten der jungen Künstler. Sie konnten sich über einem "Sicherheitsnetz" auszuprobieren und wichtige Erfahrungen sammeln. Mittmann setzte den Rotstrich an und kürzte die Partitur drastisch. Leider fielen dadurch auch viele Ensembles weg; eben jene, die den Herrscher Titus vermenschlicht darstellen. Eine grundsolide Klavierbegleitung (zupackend den zum Teil reichhaltigen Orchesterpart am Flügel spielend Jie Eun Heo) anstatt eines Orchesterapparates eliminierte jegliche Eventualitäten der Balance-Schwierigkeiten. Und so geriet in der fast privaten Atmosphäre des Audienzsaals im Palais der Hochschule Mozarts Titus zu einer psychodramatischen Kammeroper.
Die dreistufig angelegte, schwarze Bühne mit einem Mindestmaß an Requisiten forderte entsprechende Intensität in der schauspielerischen und musikalischen Ausarbeitung jedes einzelnen Sängers. Besonders glückte dies Annika Brönstrup in der Partie des Sextus. Ursprünglich für einen Kastraten vorgesehen, hatte ihre Interpretation der Partie mit dem landläufigen Klischee über eine sogenannten "Hosenrolle" nichts gemein. Sie verfiel weder in ein häufig unfreiwillig komisches Männlichkeits-Gebaren, noch kaschierte sie ihr weibliches Geschlecht. Brönstrups Sextus geriet stimmlich und darstellerisch von enormer Expressivität. Dabei wusste ihre sauber geführte Mezzo-Stimme alle Nuancen jener Zerrissenheit Sextus’ zum Ausdruck zu bringen.
Ein Talent für die Opernbühne! Die ebenso anspruchsvolle wie schwere Partie der Vitellia meisterte Charlotta Henricson (etwas zu plakativ im roten Kleid als Femme fatale) mit kantablen lyrischen Anteilen in der Stimme. Dazu kontrastierend der klare Sopran von Greta Kraushaar. Mit ihm verlieh sie der Servilia musikalisch eine mädchenhafte Note, voller spielerischer Leichtigkeit und Unbedarftheit, die vergessen ließ, was einer jungen Sängerin auch mit dieser Partie abverlangt wird. Als vierte im Bunde, Andrea Drabben. Kurzfristig für die erkrankte Kollegin eingesprungen, hatte sie die unbekannte Partie binnen weniger Wochen erlernt und stand trotzdem mit einigem Selbstverständnis auf der Bühne. Ein Abend der Frauen! Die zwei Herren (Xiao Zhang als Titus und Bartolomeo Stasch als Publius) standen bei so viel weiblicher Energie ein wenig im Abseits.
Ein solches Seelendrama auf die Bühne zu bringen, ist ein ambitioniertes Projekt. Für angehende Opernsänger, die sich noch in ihrer Ausbildung befinden, ist es ein gewagtes Unterfangen! Mozarts Titus ist eben nicht seine Zauberflöte. Weniger publikumswirksam, nicht so inszenierungsfreundlich.
Welcher junge Sänger hat aber ohne weiteres während seiner Ausbildung die Möglichkeit, sich mit einem Werk auseinanderzusetzen, dass so anspruchsvoll wie herausfordernd ist? Man wächst mit seinen Aufgaben. Also keine Schweinerei – vielmehr eine geglückte Mutprobe.