Detmold (kh). Dabei sein wollten viele, doch rein konnten längst nicht alle. Das Konzerthaus ist schlichtweg zu klein, um all die zu fassen, die zugegen sein wollen, wenn Karl-Heinz Bloemeke letztmalig in seiner Hochschullaufbahn ein "Festliches Konzert zum Neuen Jahr" dirigiert. Es ist ein bewegender Moment als Bloemeke nach anderthalb Stunden den Taktstock sinken lässt und frenetischer Applaus aufbrandet. Von den Sitzen gerissen hatte es die Hörer zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon. Mit nicht enden wollendem Beifall erheben sie sich zum Abschluss eines Konzertes mit packender Musik und überbordenden Emotionen für jenen Mann, der im Mittelpunkt des Saals steht – hinter sich das Hochschulorchester, vor sich das Publikum. 25 Jahre lang ließ er mit humorvoll-charmanter und menschenverbindender Art das "Konzert zum Neuen Jahr" sowie die stets am Tag darauf folgende Matinée zu beispielgebenden Lehrstücken für die "Hohe Schule" der leichten Muse werden. Gepaart mit heiter-vergnüglichen Verbalvolten, die Zusammenhänge zu schaffen vermögen, wo es gar keine gibt, kredenzten Bloemeke und das Hochschulorchester auch heuer wieder eine mitreißende musikalische Sause. Gemeinsam schlugen sie kreative Funken aus Kontrasten und zelebrierten erneut ein Konzert, das bewies, dass Unterhaltung und Anspruch keineswegs Gegensätze sein müssen. Dass solche Programme auf Wirkung hin konzipiert sind, liegt in der Natur der Sache. Doch bei aller kalkulierten Leichtigkeit verkamen die "Konzerte zum Neuen Jahr" nie zum Musikspektakel. Und auch die vielen Blicke und kleinen Gesten zwischen allen Beteiligten oder das immer wieder aufblitzende Lachen zeugten stets davon, dass der Taktstock hier mit künstlerischer Aufrichtigkeit und Liebe zu Menschen und Musik tanzt. Ein Faszinosum – sobald die ersten Takte anheben, klären sich die Mienen, die Augen leuchten auf und es ist, als durchrieselte es erwartungsfroh jeden einzelnen, der da im Saal sitzt. Gleich einem euphorisierenden Lebensmotor und pulsierenden Wärmestrom, rauschen 90 Minuten lang Facetten, Stimmungslagen und stilistische Vielfalt diverser Komponistenkunst mit flotten Tempi und lustvoller Lebensfreude vorbei.
Mit der Ouvertüre zu Verdis Opernkrimi "La forza del Destino" eröffnet das behände aufspielende Hochschulorchester den Reigen: Einsetzend mit Bläseroktaven wie Handkantenschläge und stets untermalt vom Drängen des Schicksalsmotivs betört dieser Konzertauftakt das Ohr. Ganz anders, aber klanglich ebenso transparent und virtuos in allen Instrumentengruppen kommen Brahms’ "Ungarische Tänze" Nr. 5 und 6 daher. Orchestrale Glanzstücke von rauschhafter Sinnlichkeit, in denen sich Eleganz und Urwüchsigkeit mitreißend vereinen.
Goldene Blechbläserherrlichkeit durchflutet das Konzerthaus, wenn Nobert Stertz, Peter Gulyka, Salvatore La Porta und Adám Dávid Gál (Horn) den ersten Satz aus dem "Konzertstück für vier Hörner und Orchester op. 86" von Robert Schumanns auf die Bühne bringen. Ebenso brillant präsentieren sich Mario Grünkorn, Conrad Mauersberger und Ray Chionh Sikai (Trompete) mit Leroy Andersons "Bugler‘s Holiday für drei Trompeten und Orchester". Zwischendurch: Lars Woldt als "Baron Ochs" aus der Oper "Der Rosenkavalier". Stimmlich souverän und ausdrucksstark, wirft er sich mit Schwung in diese Paraderolle für jeden Bassisten und verkörpert mit Witz und Wiener Schmäh ein grantiges Fossil einer untergehenden Epoche. Versiert singend und darstellungsfreudig gefällt Annika Brönstrup in der Rolle der "Annina".
Unmöglich, bei all den schwungvollen Schmankerln nicht irgendwann doch im Takt der Musik mitzuwippen. Mag dies auch weniger Bloemekes Verdienst sein als das der Komponisten, so sind es doch die jungen Musiker im Orchester und er, der "professorale Oldie", die sich mit frischem Zugriff in den Dienst der unterschiedlichsten Klanghandschriften stellen, ihnen Leben einhauchen und sie zu einem moussierenden musikalischen Mix verbinden. Denn so elegant der Maestro plaudern kann – seine klaren Vorstellungen von Klang und Disziplin behält er stets im Blick. Selbst dann, wenn er für die Zeit einer Polka den Vorruhestand im Sessel probt und seinen Eleven einfach mal gönnt, sich auf eigene Faust mit Johann Strauß’ Polka "Perpetuum mobile" einen musikalischen Scherz zu erlauben. Holz und Blech, Streicher und Schlagwerk – das Orchester schmachtet und schmettert durch Walzer und Polkas, schlägt instrumentale Pirouetten bis es am Ende mit Edward Elgars "Pomp and Circumstance: March Nr. 1" leicht und wuchtig zugleich auf die Zielgerade einbiegt.
Ovationen regnet es und Blumen. Jetzt noch ein bisschen im Nachhall der Tonflut schwelgen. Und dann: Schluss, aus, vorbei. Wie mag das sein in diesem Moment? Dazustehen in der jubelnden Menge? Und was für ein Gefühl ist es hinterher? Wenn die Garderobentür ins Schloss gefallen ist und es still wird? Wie ist das – mit diesem applausverwöhnten, zukunftsträchtigen "Konzertformat" abzuschließen? Aufzuhören, obwohl es doch gerade so schön ist ... Auch dafür "danke", Karl-Heinz Bloemeke: für die Weitsicht, nicht als seniler Pultgigant zum eigenen Spottbild werden zu wollen. Danke für Mut und Entschlossenheit loszulassen.