WIEDENSAHL (em). Es war die Zeitreise durch ein Leben, wie es unsteter kaum sein kann. Es war vielfältig, aber auch extrem kurz. "Er kannte die Tragik des Lebens", machte Rezitator Frank Suchland bei seinem Ringelnatz-Abend im Wiedensahler Wilhelm-Busch-Geburtshaus dem Auditorium, das wieder einmal jeden Platz auf der großen Bauerndiele besetzt hatte, von Beginn an klar. Und doch konnte man die sprichwörtliche Stecknadel dort fallen hören, wo wenige Minuten zuvor bei den typischen Ringelnatzschen Verbalsalti noch lautstarker Beifall Autor und Vorleser gefeiert hatte, als sich der Bückeburger Vortragskünstler der Endphase dieses nur 51 Jahre währenden Lebens ganz behutsam näherte und allen klar wurde, dass Genie und Wahnsinn auch in dieser Person, die als Hans Bötticher 1883 im sächsischen Städtchen Wurzen geboren worden war, ganz dicht beieinander lagen. Nachdem der Dichter und Maler in jungen Jahren als Seemann "die ganze Welt" gesehen hatte, war er als Künstler "in seinen besten Jahren", mit seiner wild-bizarren Poesie zumindest in Deutschland auf den Kleinkunstbühnen zwischen den Weltstädten Berlin, Hamburg und München ein Star. Doch als der 1934 in Berlin beerdigt wurde, standen ganze neun Menschen an seinem Grab, folgten "La Paloma" anstimmend seinem kleinen, schlichten Sarg. Darunter Stummfilm-Star Asta Nielsen, die ihr vollgeweintes Taschentuch als letzten Gruß in die Gruft geworfen haben soll. Dann schaffte Suchland den Sprung an die Anfänge dieses Lebens, gab mit "Aus meiner Kinderzeit" einen Einblick in die ebenso klare wie turbulente Sprache des Dichtergenies. Obwohl in einem durchaus bürgerlichen Umfeld geboren und aufgewachsen, war Ringelnatz kein leicht erziehbares Kind. Schon mit elf Jahren zog eine Tätowierung einen Schulverweis nach sich, die folgende Privatschule beendete er nach zwei Ehrenrunden mit Ach und Krach. Dass so ein Mensch mit 17 noch Träume hat und Richtung Hamburg startet, um Seemann zu werden, verwundert kaum. Auf vielen Umwegen landete der in den rauen Sitten der Seefahrt gestählte Sachse in München, trat regelmäßig im "Alten Simpl" auf. Auch wenn die Gage, die die legendäre Wirtin Kathi Kobus zahlte, kaum zum Überleben reichte. Hier entstanden dann in den frühen Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts Ringelnatz-Klassiker wie "War einmal ein Bumerang; / War ein weniges zu lang. / Bumerang flog ein Stück, / Aber kam nicht mehr zurück. Publikum — noch stundenlang — / Wartete auf Bumerang". Ringelnatz warf sich dann in seinen Matrosenanzug, durfte auf die weltstädtischen Bühnen in Berlin und erlebte die wohl besten Jahre seines Lebens – geht man von der sozialen Absicherung aus. Nur kurz streifte Frank Suchland die Kuttel-Daddeldu-Reime, die wohl so viel schwarzhumorig Autobiografisches eines "Windeis" in sich tragen wie eigentlich alles, was der sächsische Weltenbummler aufs Papier und ins Publikum gebracht hat. Trost war allein seine große Liebe Lona, deren Kosename "Muschelkalk" selbst dem toten Dichter erhalten blieb, als Grabplatte aus diesem Material auf dem Berliner Friedhof, wo er am 20. November 1934 beigesetzt wurde. Mit diesem Vermächtnis: "Wenn ich tot bin darfst du gar nicht trauern. / Meine Liebe wird mich überdauern / Und in fremden Kleidern dir begegnen / Und dich segnen. / Lebe, lache gut! / Mache deine Sache gut!". Erst nach einer kurzen Besinnungspause dankte ihm anhaltender der Beifall für einen Abend, der Nachhall finden dürfte, bei denen, die ihn erlebt haben.
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Die Tragik des Lebens
Frank Suchlands Ringelnatz-Programm mit Nachhall
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