LOCCUM (jan). "Wohin mit dem hochradioaktiven Atommüll?" Mit dieser Frage hat die Evangelische Akademie Loccum Schüler zu einer Tagung eingeladen. Mehr noch als die Frage nach dem "Wohin" haben die Jugendlichen sich mit Sinn und Zweck der Endlager-Kommission und der möglichen Beteiligung ihrer eigenen Generation an diesem Prozess auseinandergesetzt. "Das würde ich gerne in Kopie mit in die Staatskanzlei nehmen."
Derart beeindruckt, dass er es mitnehmen wollte, war Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel von einem Spot, den die Jugendlichen gedreht hatten. Einer der Schüler trat darin als Redner auf – mit langen Sätzen voller Fremdworte, die den Zuschauern nur zu deutlich den Wert von verständlicher Sprache in einer so komplizierten Materie wie der Endlagersuche vor Augen führte. Sein Pressesprecher würde jauchzen, wenn er das zu Gesicht bekäme, meinte Wenzel.
Verständliche Sprache ist das eine, was die 70 Jugendlichen aus zehn Schulen Niedersachsens, Bremens und Nordrhein-Westfalens einforderten. Kurz, knackig und klar plädierten sie aber auch dafür, dass weniger geredet und mehr gemacht, dass die Beteiligten das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen verlieren sollten und dass durch Transparenz der Arbeit der Bund-Länder-Kommission mehr Akzeptanz in der Bevölkerung geschaffen werden solle.
Was diese Bund-Länder-Kommission macht, die allgemein auch als Endlager-Kommission bezeichnet wird, welche Aufgaben sie hat, wer dazu gehört und wo ihre Chancen und Risiken liegen, hatten die Teilnehmer der Tagung zuvor auf vielfältige Weise erfahren. "Wir haben sehr hochkarätige Referenten bekommen", sagte Simone Schad-Smith, die gemeinsam mit ihrer Akademie-Kollegin Monika Müller die Tagung angeboten hat.
Bevor der Umweltminister kam, hatte beispielsweise schon die Vorsitzende der Kommission, Ursula Heinen-Esser, aus dem Nähkästchen geplaudert. Wissenschaftler, Vertreter aus atomaren Entsorgungs-Betrieben und auch solche, die seit Jahrzehnten engagiert im Atom-Ausstieg sind, gaben sich die Klinke in die Hand. Dass zwischen diesen Gruppen trotz des gemeinsamen Ziels – der besten Lösung für die Lagerung des Atommülls – durchaus nicht immer die beste Stimmung herrscht, erlebten die Jugendlichen beispielsweise am ersten Abend, als sich Heinen-Esser und Jochen Stay von der Initiative ‚ausgestrahlt’ ein Wortgefecht über die Zusammensetzung der Kommission lieferten. Politiker, Wissenschaftler und Vertreter gesellschaftlicher Gruppen gehören der Kommission an. Insbesondere die Unabhängigkeit der Wissenschaftler stellte Stay in Frage. Sorgen und Ängste formulierte auch der stellvertretende Vorsitzende des BUND, Klaus Brunsmeier. Zum einen gab er als Statement ab, dass Wissenschaftler heutzutage immer auf ein Ziel, das ihre Auftraggeber formuliert hätten, hinarbeiten würden. Außerdem habe er die Befürchtung, dass dann, wenn ein Endlager-Standort gefunden worden sei, an dem Beschluss zum Atomausstieg gerüttelt werden könne, weil es dann schließlich Mittel und Wege gebe, den Müll gut zu entsorgen. Das trug ihm heftigen Widerstand von Iris Graffunder ein, die die EWN-Betriebsstätte Eggenstein-Leopoldshafen leitet, welche für atomare Müllentsorgung zuständig ist. Die Explosivität des Themas zeigte sich also schon deutlich in den Meinungen der Referenten, die aufeinander prallten. Das und die offensichtlich komplizierte Materie gaben vermutlich auch den Ausschlag dafür, dass manche der Jugendlichen bei der Frage nach der Beteiligung ihrer eigenen Generation einen Rückzieher machten.
"Wie sollen wir uns denn neben Schule und Abitur noch in solche Prozesse einbringen?" fragte ein Teilnehmer. Experten könnten Jugendliche sicherlich nicht in die Endlager-Kommission entsenden, meinte eine weitere Teilnehmerin. Vielleicht genüge es aber auch, wenn Jugendlichen die Chance gegeben werde, Fragen zu stellen – vielleicht naiv und gerade dadurch so, dass die Experten gelegentlich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt würden.
Den Vorschlag, eine Schülergruppe in eine Sitzung der Kommission einzuladen, nahm Brunsmeier, der auch Mitglied der Kommission ist, sofort auf.
Dass tausende nachfolgende Generationen die Suppe mit dem Atommüll auslöffeln müssten, hatte Wenzel eingangs gesagt. Dass es für die Beteiligung dieser künftigen Generationen an dem Prozess noch kein wirkliches Konzept gibt, sagte er ebenfalls. Dass eines der Schlagworte, die die Jugendlichen an Pinnwänden zur Endlagersuche angesichts vieler Streitereien und vieler Worte auf dem Weg zu einem doch eigentlich gemeinsamen Ziel geschrieben hatten "Geht’s noch?" war, könnte als Signal der Tagung taugen.
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