Lemgo (nr). Wenn Theater den Zuschauer lachen machen kann, ihn gleichermaßen nachdenklich oder traurig stimmt, Gänsehaut hervorruft und das Herz berührt, ist es so, wie es sein soll. Manchmal erwartet man vom Kleinen nicht das ganz Große – und wird dann überrascht von der Intensität, die ganz unerwartet über einen herab prasselt.
Genau das haben die freie Theatergruppe "Stattgespräch" und die Laienschauspieler der Lebenshilfe am Samstag mit der Premiere der beiden Einakter "Eine Nacht mit Mutter" und "Nett, dass Sie da sind..." geschafft. Behinderte und Nichtbehinderte Schauspieler zauberten gemeinsam großes Theater der Gefühle und wischten so ganz nebenbei die Barrieren der Vorurteile über Behinderte im Kopf weg.
Die Entscheidung einmal andere, ungewöhnliche Wege im Theater zu gehen und mit Behinderten und Nichtbehinderten auf Augenhöhe zu agieren, Inklusion zu leben und nicht nur darüber zu reden, entpuppt sich da als Kleinod. Unzählige Überlegungen und Gespräche im Vorfeld und viel Engagement mit Achtung und Respekt füreinander, haben in der fünfmonatigen Probezeit etwas ganz Besonderes hervorgebracht, das beispielhaft vorangehen kann.
Die erste Premiere "Eine Nacht mit Mutter" mit Liane Kreye und Sven Meyer überzeugte mit ihren authentischen Darstellungen. Da waren gleichzeitig eine schwierige Mutter-Sohn-Beziehung, klischeehaftes Rollendenken und Selbsterkenntnis zu meistern. Vielschichtig und facettenreich gespielt, nahmen die beiden Schauspieler ihr Publikum in den verschiedenen Stimmungen mit. Mit viel Fingerspitzengefühl und Fantasie füllten Liane Kreye und Sven Meyer ihre Rollen mit Leben und Leidenschaft. Für die Inszenierung zeichnet sich Frank Wiemann verantwortlich, der mithilfe überraschender Wendungen und mit einem großen Ideenreichtum eine umwerfende atmosphärische Dichte in der Inszenierung erreichte und dabei gleichzeitig den Brückenschlag zum zweiten Einakter schaffte. Eine tolle Vorstellung, die auf ganzer Linie überzeugte.
Mit Szenen einer Wohngemeinschaft in "Nett, dass Sie da sind... glänzten dann behinderte und nichtbehinderte Schauspieler gleichermaßen. Mit viel Humor und Charme schafften sie es mühelos, den Funken auf das Publikum überspringen zu lassen. Was bedeuten schon zwei oder drei winzige Unsicherheiten, wenn die Worte, die über die Bühne flogen, immer stimmig waren und punktgenau kamen und sowohl Lachsalven, als auch Bewunderung im Zuschauerraum auslösten. Auf der Bühne spielte das pure Leben. Da waren die Schauspieler zu einer Einheit zusammengewachsen, die so sehr fesselten, dass die 30-minütige Vorstellung viel zu kurz erschien.
Dass im überschaubaren Lemgo eine freie Theatergruppe mit einer Gruppe behinderter Laienschauspieler etwas so Tolles und Neues mit Vorbildfunktion auf die Bühne bringen würde, hätte im Vorfeld kaum jemand erahnt. Gemeinsam haben sie da etwas ganz Großes erreicht. Die beiden – hoffentlich nicht – letzten Vorstellungen finden am Donnertag, 2. Oktober um 20 Uhr und am Freitag, 3. Oktober um 16 Uhr statt. Restkarten gibt es noch an den bekannten Vorverkaufsstellen.
Vielleicht beflügelt dieser ungeheure Erfolg so sehr, dass noch mehr Zuschauer im Laufe der Theatersaison in den Genuss einer solchen Vorstellung kommen. Zu wünschen wäre es.